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Dienstag, 27. Dezember 2011

Karen Koltermann mit „home“ in der Kunsthalle Bremerhaven



(Bremerhaven) Die Ausstellung „home“ von Karen Koltermann, die mit einem Vorprojekt in einem leeren Ladenlokal in der Linzer Straße begann, ist nun in der Kunsthalle Bremerhaven zu sehen. Gezeigt werden nun Fotos, Video Installationen und großformatige Bilder. Die dokumentarischen Arbeiten zeigen einen künstlerischen Blick auf die verschiedenen Formen von Heimat besonders derer die keine haben. Was bedeutet es rausgerissen und/oder ohne Heimat zu sein?
Schon der Aufbau der Ausstellung entspricht ehr einer Abwrackwerft als einer Kunsthalle. Am Eingang hängt eine Plane über einem Bauzaun. Das Motiv darauf zeigt einen Verschrottungszustand der Al Zahraa, einem irakischem Frachter der über 20 Jahre wegen dem Irakkrieg in Bremerhaven an der Kette lag. Im Treppenhaus zeigt ein Großformat die Brücke des Schiffs einsam, ausgebaut und verloren in einem Meer aus Schrotthaufen. Im oberen Foyer dann eine aus vielen einzelnen Bildausschnitten zusammengesetzte, wandfüllende Seitenansicht des Frachters, als er noch in Bremerhaven fest gemacht lag. Es entsteht der Eindruck man ginge durch eine Werft an Plänen der aktuellen Arbeit vorbei. Dieses Schiff war die Heimat für irakische Seeleute die im sechsmonatigem Wechsel dort Wache schoben und nie in der BRD an Land gehen durften. Dieses Schiff lag wie ein toter Gegenstand im fremden Hafenbecken. Nie sah man Leute an Deck. Es rostete einfach so vor sich hin. Die Abwesenheit von Menschen begleiten die weiteren Bilder und Videos der Ausstellung. In einem Video werden die einzelnen Abwrackfortschritte gezeigt. Aber nie sieht man einen Arbeiter. In einer weiteren Video Installation verfolgt man einen Rundgang durch das Schiff. Wieder ist Niemand da. Leere Räume, Gänge und Decks, Wasser steht in der Bilge. Es ist die Heimat derer die keine haben, der Seeleute deren Schiff über zwei Jahrzehnte ungenutzt im Hafen lag und nun mittlerweile verschrottet ist. Auf einer großen Leinwand fährt eine Kamera auf Höhe der Scheuerleiste am Schiff vorbei. Man könnte es mit der alten „Yorikke“ verwechseln. Ein Luke in der Bordwand rückt ins Bild und man erwartet im nächsten Moment würde Mario Adorf sein heiseres Lachen rausschreien. Es ist aber die Dokumentation von 2011, die Überführung in die Abwrackwerft, und nicht das Totenschiff von B. Traven.
In einer anderen Abteilung unter der Empore hängen an Bauzaun Elementen verschiedene Bilder, auf denen eine stürmische See - Boote groß wie Nussschalen - umher wirbelt. Wer in diesen Booten schwimmt ist auch ohne Heimat. Auf der Empore liegt eine bedruckte Plane mit dem Motiv einer vom Erdbeben eingestürzten Brücke. Mit großer Sorgfalt sind die Exponate aufgebaut. Man ist immer im Erleben der Motive einbezogen. Die Erdbebenplane liegt bis vor der letzten Stufe, in Wellen gefaltet, über ein Geländer drapiert und mit einem Zipfel an der Wand gebunden. Links von der Plane ist eine freie Fläche von der man auch besser sehen könnte. Doch man müsste auf die Plane treten um dorthin zu gelangen. Man würde auch nicht auf die eingestürzten Brückenteile treten, weil man mit ihnen abstürzen könnte. Dieses direkte erleben und einbezogen werden in die Vorgänge auf den Motiven, sind von Karen Koltermann mit sicherer Hand eingerichtet. Die Bilder mit der stürmischen See sind dunkel und sehr reduziert ausgeleuchtet sowie mit Gegenlicht oft irritierend, wie aus der Kanzel eines Rettungshubschraubers. Diese Bilder sind Fotografien die sie übermalt hat. Alles was fotografisch eindeutig war wird hier malerisch mehrdeutig. Es ist aber nicht die Gefahr der man nachspüren muss, es ist das Gefühl verloren zu sein im Unendlichen. 
Karen Koltermann, die in Bremerhaven aufgewachsen ist und durch ihrem Kunstlehrer auf der Geschwister-Scholl-Schule mit Jürgen Wesseler vom Kunstverein Bremerhaven die ersten konkreten Kontakte zur Kunst knüpfte, hat seit 2003 dieses Thema bearbeitete. Mit dieser Ausstellung die bereits 2009 in Berlin in Teilen unter dem Titel „Die Überfahrt“ gezeigt wurde setzt sie eine dokumentarische Darstellung ihrer Heimatstadt fort. Sie hatte bereits mit einer Bilderreihe von leer stehenden Ladenlokalen den Wandel in der Hafenstadt festgehalten. Studiert hat Koltermann in Hamburg. Sie machte Arbeitsaufenthalte in New York, Santiago de Chile und Istanbul. 2000 wurde ihr der Kunstpreis der Galerie 149 und der Volksbank Bremerhaven verliehen. Seit 1999 machte sie mehrere Einzel- und  Gemeinschaftsaustellungen im In- und Ausland. Die Ausstellung „home“ in der Kunsthalle Bremerhaven ist noch bis zum 22.01.2012 geöffnet. Mo. - Fr- 11:00 bis 18:00 Sa. + So. 11:00 bis 17:00

Donnerstag, 15. Dezember 2011

Mira Tscherne - Warum das Kind in der Polenta kocht


(Bremerhaven) Das Stadttheater Bremerhaven bringt der Jugend ein Theatererlebnis auf beeindruckende Weise nah. Gestern spielte Mira Tscherne in ihrer eigene Inszenierung „Warum das Kind in der Polenta kocht“ nach dem Roman von Aglaja Veteranyi im Pferdestall in der Gartenstraße. Die Schauspielerin hat den Roman für ihr Schauspieldiplom in Graz (Österreich) in eine reduzierte Form gebracht. Ein Drittel der Gäste entsprachen dem Erwartungsalter des JUP!, - „Junges Theater im Pferdestall“, eine Art Nebenstelle des Stadttheaters auf Zeit.
Schauspieler die frisch im Beruf sind werden gerne für das Weihnachtsmärchen oder für Jugendstücke und Kindertheater eingesetzt. Das mag daran liegen das der Altersunterschied nicht so groß ist zwischen Akteur und Zuschauer. Es ist aber auch die eingeebnete Fallhöhe die sich aus begrenzter Erfahrung und hohem künstlerischem Anspruch ergibt. Letzteres ist für Bremerhaven nicht so ausschlaggebend. Das Mass an Erfahrung um so mehr wenn es sich dabei wie bei Mira Tscherne um ein herausragendes Schauspiel Talent handelt. Sie hat vor anderthalb Jahren ihre Prüfung abgelegt, sie ist also noch auf dem Weg in den Beruf. Und soviel kann man jetzt schon sagen, sie hat noch enorme Resourcen zu entwickeln und anzubieten. Es sind gewisse Qualitäten die eine Schauspielerin auf natürliche Weise mitbringt mit denen sie sich aus der gewöhnlichen Menge abhebt. Eine davon ist die Fähigkeit sensibel auf der Bühne zu zeigen wie zerbrechlich wir Menschen sind ohne dabei selbst zu zerbrechen. Eine andere ist es Fiktion so real darzustellen das man eine Puppe nicht von einem Säugling unterscheiden kann, ausser man kneift sich und erinnert sich daran im Theater zu sitzen. Und eine weitere ist der Mut aufrichtig und natürlich auf der Bühne zu sein, und dabei das Spiel und die Dramaturgie nicht aus dem Blick zu verlieren. Diese, und weitere Fähigkeiten die ihr überragendes Talent ausmachen, hat Mira Tscherne gestern im Pferdestall gezeigt. Talent ist der Spiegel der Möglichkeiten die in einer Person stecken. Die Vorstellung war beeindruckend, berührend, fesselnd und sie hat damit gezeigt, das noch sehr viel mehr in ihr steckt. Man kann nur hoffen, dass sie nicht im Staatstheater-Regie-Einheitsbrei untergeht. Man muss hoffen und wünschen das sie einen Regisseur trifft der sie fordert und dem sie vertrauen kann. Dann sehen wir bald schon eine neue Wokalek-Jentsch-Gedeck Tscherne.
Theater lebt davon wie sehr das Publikum mit eifert, mit fiebert, sich emotional gibt und mit reißen lässt. Es ist für keinen noch so selbstsicheren Schauspieler ein leichtes vor der typischen norddeutsch stoisch gefrorenen Gesichterfassade zu spielen. Um so mehr ist da z.B. das transparente Spiel mit poetischer Klarheit zu werten, mit dem Tscherne die Puppe entkleidet wenn sie über ihre Mutter spricht. Und ebenso hervorragend ist es, wie sie die Verbindung zum Publikum hält, in dem sie direkt in deren Herzen spricht. Das Publikum aber lässt nur spärlich und aus überspannter Zurückhaltung hin und wieder eine Gefühlsregung aufblitzen, welche sofort in der stillen Tiefe der Ränge vom Dunkel absorbiert wird. Sie muss ein seelischer Torrero sein, eine Walküre der Emotionen und die Brandung die sich um den Fels herum ergießt. Es muss an dieser Stelle die Frage gestattet sein, gerade weil es sich um das JUP! „Junges Theater im Pferdestall“ handelt wo die Bildung ansetzen muss. Ist es nicht so, dass die Rezipienten mit der Kommunikation des Schauspielens vertraut gemacht werden müssen, damit sie die Darbietung auf der Bühne verfolgen können? Wenn ein Publikum eine Vorstellung als „schön“ oder „Mal was anderes“ bezeichnet möchte sich jeder Schauspieler die Kugel geben. Soviel zu den Potentialen.
In der Geschichte wird die Sicht eines Mädchens, die mit ihren Eltern in den Westen flüchtet, gezeigt. Und da fällt es auf wie eine vertrauensvolle Regie geholfen hätte. Mancher Witz versickert in unpräziser Gestaltung. Manchmal kann man nur aus dem gesprochenen Wort heraus erkennen welche Person dargestellt wird. Und die Spielrhythmik und Dynamik wäre auch besser von außen beurteilt,  wenn man selbst noch nicht die fundierte Erfahrung gesammelt hat. Theater ist immer eine Gemeinschaftsarbeit. Und dieser aufbauende Wert einer in Gemeinschaft entstehenden Aussage fehlt der Inszenierung. Es fehlt oftmals der Biss, es fehlt die Basis dafür eine kollektive Gefühlsäusserung entstehen zu lassen. Aber es fehlt eben nicht an der Fähigkeit, sondern an der Erfahrung diese Feinheiten allein meistern zu können.
Fotos und Filmsequenzen in Theaterstücken mit einzubeziehen gehört mit zu den ganz großen Herausforderungen. Film und Theater sind so unterschiedlich in ihren Kommunikationsformen wie Feuer und Wasser. Die präzise Auswahl und Gestaltung der Bilder in einem Film verschlingen ein Vielfaches von der Zeit die letztendlich am Set gedreht wird. Man kann davon ausgehen, dass alles in  einem Bild gestaltet ist, dass nichts zufällig mit aufgenommen wird, und dass ein ganz bestimmtes ausgeklügeltes Tempo gewählt wurde um diese Bilder einzufangen und in Folge zu setzen. Ganz zu schweigen davon was im Schnittraum dann noch kreiert wird. Auf der Bühne ist nichts reproduzierbar, und man kann den Bildausschnitt nur schwierig wählen. Die Life Darbietung ist ausserdem von unzähligen Überraschungen begleitet die jede Vorstellung zu einem neuen Erlebnis macht. Um diese unterschiedlichen Formen zusammen zu bringen muss man beide Sprachen, die des Films und des Theaters verinnerlicht haben. Dies ist Mira Tscherne nur zu Beginn geglückt. Während der Einlasszeit wird eine Videosequenz in einer Endlosschleife gezeigt. Darin sehen wir ein Mädchen das allein spielerisch in einer Fussgängerzone zwischen vielen vorbei schlendernden Erwachsenenbeinen Tanzschritte nachvollzieht. Man sieht nicht den Kopf des Mädchens. Nur an den Fuss- und Beinbewegungen erkennt man die naive Hingabe an die einzelnen Schritte. Das Mädchen ist so sehr in ihrem Tanz versunken, dass es die Menschen um sich herum gar nicht wahr zu nehmen scheint. Und dann stellt sie plötzlich fest als sie fast mit einem Erwachsenen zusammen trifft, dass noch andere um sie herum sind, erschrickt und läuft um sich blickend aus dem Bild. Die Sequenz ist von Tscherne aufgezeichnet worden, also kein Archivmaterial. Und sie ist eine treffende Metapher für das ganze Stück. Die im späteren Verlauf eingespielten Bilder sind weniger beeindruckend bis störend.
Lassen sie es sich nicht entgehen die allmähliche Entstehung einer großen Theaterkarriere mitzuerleben. Sie spielt sich direkt vor unseren Augen ab, so wie damals mit Thalheimer und Herbst in den 80ern.
In diesem Jahr wird „Warum das Kind in der Polenta kocht“ von und mit Mira Tscherne nur noch zwei Mal geben: Am Samstag und am Montag jeweils um 19:30. Das Stück ist für Jugendliche und jung gebliebene Erwachsene ab 15 bis 150 Jahre. Und wenn die Nachfrage groß genug ist dann könnte es auch im kommenden Jahr wieder auf den Spielplan kommen. 

Dienstag, 13. Dezember 2011

"Shatabdi Groove Express"

(Bremerhaven) Samstag Abend im Pferdestall: „Shatabdi Groove Express“ gab ein Konzert das zum lauschen animierte. Der Meistertrommler Christian Schmidhofer spielte mit seinen handverlesenen Musikern Jens Pollheide (Bass), Sebastian Weber (Steptanz und Body-Perkussion) so wie Manickam Yogeshwaran (Gesang) eine Klangvielfalt der Überraschungen. Über hundert Gäste waren begeistert und forderten mehrere Zugaben.

Die südindische Perkussion kommt mit einer Vielfalt komplexer Rhythmen daher, die sich oft erst über einen längeren Spielfluss erschließen. Darin sind viele Improvisationen möglich die Christian Schmidhofer auf faszinierende Weise zum Besten gab. Er ist viele Jahre mit dem wohl bekanntesten Weltmusik Kollektiv „Embryo“ aufgetreten. Der Bassist und Flötist Jens Polheide, der ebenfalls mit „Embryo“ auftrat, kombinierte eine arabische Stimmung dazu. Deutlicher hätte man den Begriff Weltmusik nicht erklären können. Dazu die Stimme von Manickam Yogeshwaran, Filmkenner ist er ein Begriff aus dem Soundtrack zu „Eyes Wide Shut“ von Stanley Kubrick, die wie ein Wind die Hörsinne verzaubert und in andere Welten trägt. Den Körper noch deutlicher als Instrument eingesetzt hat Sebastian Weber der eine Symphonie rhythmischer Geschichten aus seinem Body trommelte. Und nicht zu vergessen sein Steptanz, als er mit ekstatischer Klangfülle wie ein fliegender Derwisch über die Bühne sprang. Weltmusik kann man kaum besser darbieten. Christian Schmidhofer hat noch weitere  Musiker in seinem Umfeld. Alles hochkarätige Könner die sich zu den leider ehr seltenen Gigs treffen, und dann das Publikum zum aufhorchen, mitgrooven schlicht zu einem aussergewöhnlichen Konzerterlebnis verführen. Diese Musik verbindet die Menschen aus allen Regionen der Welt, sie ist eine eigene Sprache und schafft eine interkulturelle Verständigung.
Man erinnert sich evtl. noch daran das „Deep Purple“ vor vielen Jahren in Japan ein Konzert gab und die Band verwundert schaute als die Gäste auf Stühlen vor ihnen saß. Im Pferdestall war eine vergleichbare Stimmung. Nur diesmal ist die Veranstaltung in Bremerhaven und die Klänge kommen aus der ganzen unbekannten Welt. Das Publikum horchte gespannt auf die musikalische Darbietung die immer wieder überraschte, und auch das eine oder andere Bein zum wippen trieb. Es tauchten spontane Wechsel auf bei denen man ohne Grund zu lachen begann. Das Musik so was bewirkt?! Und am Ende jedes Stückes der sich Bahn brechende Applaus. Das ist keine Musik die man auf dem nach Hause Weg pfeift oder am morgen im Radio hört, nicht einmal bei Funkhaus Europa. Das ist die Musik die man als Erlebnis mit sich trägt und noch lange in Erinnerung hat, bis man dann ohne Grund plötzlich grinst oder laut loslacht, nur weil sich die Grooves im Körper verselbständigt haben.
Nach den Zugaben verließen die Gäste den Pferdestall mit erfreuten und gelösten Gesichtern. Es muss wohl gefallen haben. Man kann nur hoffen das Christian Schmidhofer uns bald wieder mit seinen Musiker des „Shatabdi Groove Express“ beehrt.

Montag, 12. Dezember 2011

home - ein Kunstprojekt von Karen Koltermann

(Bremerhaven) Am Samstag wurde im ehemaligen Blumenladen in der Linzer Straße am Stadttheater eine Ausstellung eröffnet. Es wurden die Arbeiten von Schülerinnen und Schüler der Geschwister-Scholl-Schule und Karen Koltermann gezeigt die in einem drei Monate dauernden Projekt entstanden waren. Dieses Kunstprojekt ist ein Teil der Ausstellung mit Werken von Karen Koltermann die am 18. Dezember in der Kunsthalle beginnt.
„home“ ist der Ort an den wir zurückkehren wollen wenn wir uns im Gewirr der Welt verloren haben und der Titel der Ausstellung. Mit dieser Aufgabenstellung begeisterte Karen Koltermann 17 Schülerinnen und Schüler der Geschwister-Scholl-Schule. Sie gingen durch ihre Stadt mit dem Fotoapparat und schauten genauer hin. Welche Motive machen ihre Heimat aus? Auf den Bildern sieht man viel Graffiti, Mülltonnen und Fenster oder Hauseingänge. Auf die Frage warum gerade diese Bilder sagt Marei Dierßen, es kam ihr auf die Details an. Wenn man aufmerksam auf die gewohnte Umgebung schaut fallen die kleinen Besonderheiten auf. Das ist es was die Heimat aus macht. Und Lisa Brockmann fügt hinzu: Hässlichkeit gewinne an Schönheit wenn man ohne Vorurteil an die Aufgabe heran ginge. Dann würde man auch die Schönheit in einem Sperrmüllhaufen entdecken können. Für eine Schülerin eine bemerkenswerte Erkenntnis. Und wenn man die Bilder, die fotografisch keinen besonderen Wert haben, auf diese Weise betrachtet, kann man eine Menge über die Stadt und die erforderliche Demut erkennen, die jedem in seinem Umfeld abgefordert wird.
Der Laden, wieder mal einer der Vielen leer stehenden, wurde mit Fördergeldern angemietet. In den letzten zwei Wochen haben die Teilnehmer mit der Künstlerin die Bilder zu einer Installation entwickelt und den Raum für die Ausstellung hergerichtet. An einer Wand ist ein großflächiges Bild von Karen Koltermann, der Al Zahraa die jahrelang im Hafen an der Kette lag, montiert. Das Bild ist aus vielen kleineren Formaten zusammen gesetzt. Wenn man genau hinsieht bemerkt man, dass einige Details verändert sind. In der Kunsthalle wird am 18. Dezember die Arbeiten gezeigt die sie bei der Überfahrt 2009 auf dem Schiff machte. Karen Koltermann befasst sich in ihrer Kunst mit den menschlichen Belangen, wobei ihr gerade die Kleingebliebenen und Benachteiligten am Herzen liegen.
Die Installation in der Linzer Straße ist noch bis 17.12. dienstags bis samstags von 12 bis 18 Uhr zu sehen. Am 17.12. wird anlässlich der Ausstellung „home“ die Hamburger Band „Bremerhavn“ im Pferdestall in der Gartenstraße 5-7 ein Eröffnungskonzert geben. Der Eintritt ist frei.

Sonntag, 11. Dezember 2011

Fundament von Jan Neumann - Kopfkino für Geduldige

(Bremerhaven) Gestern Abend war Premiere im Stadttheater Bremerhaven. „Fundament“ lautet der Titel und ist eine Stückentwicklung von Jan Neumann in Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Staatstheater 2009. Erik Altorfer inszenierte es zu Sprechcollagen in einer farbenfrohen Welt von Eva Humburg. Fünf verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Lebensweisen treffen sich zufällig am Bahnhof einer Stadt und erleben/erleiden einen Terroranschlag. Ja und?
Das ist doch tragisch! So könnte man ausrufen. Damit muss man heute ständig rechnen, antworten andere darauf. Und über diese – zur Gewohnheit verkommenen – Situation kommt der Autor auch nicht hinaus. Er benutzt die wie-auch-immer-reale Terrorgefahr um einer anderen weniger dringlichen Thematik zu folgen. Es fehlt dem Stück, und damit auch dem Autor, an Demut vor dem wirklichen Leben zu Gunsten eines pauschalisierten Lebens. Und es fehlt dem Stück eine klare Absicht die es zu belegen gilt oder an der man scheitern kann. Da nützt es auch nichts wenn er Feldforschung betreibt und mit einem Ensemble improvisatorisch die Charaktere entwickelt, oder im Team philosophiert. Das erschütternde starke Bild, der Terrorakt, wird von ihm banalisiert um über die Glaubensweisen der einzelnen Personen zu reden. Aber die einzelnen Personen, ein Religionssuchender, ein Student, eine Managerin, eine zweifelnde Ehefrau und Mutter so wie ein Top-Werbegraphiker, bleiben nur an der Klischee behafteten Oberfläche. Das essentielle Ringen nach einer Glaubensidentifikation kommt nicht ernsthaft zur Sprache. Die Personen sind immer nur Abziehbilder die wir so oder ähnlich zig Mal kolportiert kennen. Darin besteht die große Schwäche des Textes.
Jan Neumann hat aber eine andere Qualität die mich paradox erstaunen lässt. Er schreibt das Stück mit einer bezaubernden Poesie. Seine Bilder ziehen sich lang und dynamisch in großen eingängigen Bögen durch das Stück. Ein Beispiel: Eine Taube setzt an zu einem letzten Flug. Dabei streift sie auf ihrem Weg den gesamten Spielort und die Hauptcharaktere. Sie verbindet eine komplexe Handlung homogen mit einem imaginären Ort. Ein anderes Beispiel: In der Kunstthearapiesitzung mit Bettina Lauterbach, der zweifelnden Ehefrau und Mutter, ist der Text wie ein vielsprachiger Gesang komponiert. Man wird durch die Szene hindurchgezogen wie auf einer pseudoschönen Melodie, kann sich der aufgesetzten und heuchlerischen Mitgefühlsduselei nicht entziehen. Gleichzeitig überspitzt Neumann gerade soviel, dass man den beißenden Sarkasmus nicht übersehen kann. Seine Sprache ist einfach gehalten, kommt scharf auf den Punkt und ist von einer natürlichen Rhythmik die den Leser in einem Atemzug durch das Stück saugt. Und das ist der Punkt: Dem „Leser“ ergeht es so.
Die Inszenierung dagegen ist ehr überladen und holprig. Was in der Sprache punktgenau und kristallklar geschrieben steht, wird auf der Bühne durch kryptische Symbolik verwässert. Vielleicht hätte man dem Schauspiel-Ensemble sprachlich mehr zutrauen sollen. Die können das. Doch auf der Bühne steht so ein Gefühl von geistiger Klaustrophobie. Was ist das? Hörspielkino mit Umbaupausen? Es ist so voll mit irgend welchen symbolischen Ideen die nur wenige Psychologie Professoren entschlüsseln können. Die Umbauten dauern lange und scheinen nur etwas Bewegung zu schaffen. Die Umbaumusik ist nicht kongruent mit einer dramaturgischen Entwicklung, also nur Schmuckwerk? Das Bühnenbild, mit allen Grundfarben übergossen, ist so unspezifisch, man hätte es auch in Schwarz oder Weis machen können. Hier fehlt der Biss. Gerade wegen der Tatsache weil dem Stück die Absicht fehlt.
Verstehen sie mich bitte nicht falsch, ich empfehle das „Fundament“. Gehen sie hinein und nehmen sie aktiv daran Teil wie sich Theater in der heutigen Welt entwickeln soll. Diese Inszenierung und das Stück selbst bietet eine gelungene Chance für einen offenen Kontakt mit einer heranwachsenden Theater Gesellschaft. Hier ist die Gelegenheit für ein junges Publikum um sich mit den Ausdrucksformen des Theaters zu beschäftigen die noch nicht in Stein gemeißelt sind. Deutschlehrer sollten diesen Text mit ihren Schülern durcharbeiten und dann die Inszenierung anschauen und das Gespräch mit den Künstlern suchen. Man muss vor dem Stück nicht ehrfurchtsvoll erstarren wie ein Faust es fordern kann. Es ist eine kommunikative Spielerei, es ist eine Arbeit im Prozess, es ist Forschung nach einer neuen Sprache im Theater, es ist die Suche nach einer Gesellschaftsverständigung, es ist das Angebot einer Reflektion über aktuelle Vorfälle in der Welt. Seit über zehn Jahren ringt man mit diesen Themen im Theater. Warum nicht auch in Bremerhaven?
„Fundament“ wird noch am 17. und 21. Dez. 2011 sowie am 13. und 20. Jan. 2012 gespielt. Weitere Termine sind noch nicht angekündigt.

Montag, 5. Dezember 2011

No future war gestern - onethreethree rockt die Stadt

Häää?! Ahoi store? Pop up shop? Was, zum Henker, soll das sein? Es ist eine weitere Aktion gegen die Langeweile und Trägheit die sich seit, sagen wir es ruhig, dem Ende des Wallys in der Stadt ausbreitete. Vielleicht ist es auch die ultimative Talsole des Abwärtstrends in Bremerhaven. Jedenfalls ist es die klare Ansage junger Leute die von aussen auf die Stadt und in die Stadt schauen und Impulse setzen. Sie kommen aus Osnabrück, Berlin, Frankfurt und weiss der Himmel woher noch. Sie kamen um an der Hochschule zu studieren. Sie fanden eine Stadt vor die sie für ein Mindestmass an Freizeitqualität reanimieren mussten. Bremerhaven ist die letzte Station in der neue Trends, Moden und Zeitgeist ankommt. 133 ist eine Gruppe von Studenten die in der „Alten Bürger“ wohnen, ein harter Kern von fünf bis acht Leuten, und ein größerer AktivistInnenzirkel drum herum. 133 ist gleichzeitig auch ein Abbild davon, wie sich junge Leute im plusminus Studentenalter organisieren und ihre Lebensinhalte und -formen gestalten. 133 ist die Blaupause der Internet Generation, die sich durch weitreichende Vernetzung und eigene kreative Ideen das Leben gestaltet. Und aus der Sicht Bremerhavens ist es die Frischzellenkur die diese Stadt so dringend nötig hat.
Die Aktionen die 133 bisher auf die Beine gestellt haben sind geprägt von Lebensfreude und dem Spass etwas eigenes mit der freien Zeit parallel zum Studium zu unternehmen. Und ihr Enthusiasmus wurde bisher mit offenen Armen aufgenommen. Sie erhielten großzügige Unterstützung bei der Suche und Nutzung von Lokations für das Video von Hein und Mück das am Dienstag bei YouTube erscheinen wird. Es sind Menschen die mit lockerer Begeisterung an die Dinge heran gehen. Dabei ist es nicht so wichtig wie spektakulär die jeweiligen Aktionen sind. Ob es sich um eine Malaktion handelt, wie jetzt im Ahoi store, deren Bilder in einer Free Galerie verschenkt werden, oder ob es eine Sammlung von Sonnenbrillen für Nordindien im Rahmen des Projektes Shades of Love von Jürgen Altmann ist. Es geht vor allem darum nicht still zu sitzen und zu warten das was passiert. Die Aktionen die sie unternehmen sind kaum kostenträchtig und weil sie mit Verve angebracht werden bekommen die 133er auch genug Unterstützung bei der gering nötigen Finanzierung z.B. durch WIN.
Vielleicht springt der Funke irgendwann über und infiziert auch die jüngere Gesellschaftsschicht der Stadt. Erste Impulse sind schon da. Am Freitag spielten zwei Akustik Bands im Ahoi store, Salo und Mathis sowie die Friday night score, beide aus Bremerhaven. Und der neue Reiseführer könnte da ein weiterer Schritt sein. In den drei Pop-up-Tagen konnten viele Gäste im store ihre Geheimtipps von Bremerhaven abgeben: Kneipen, Lokations, Sehenswürdigkeiten und vieles mehr der etwas anderen Art. Diese Informationen und Tipps werden dann von 133 zu einem Reiseführer für Bremerhaven verarbeitet und als gedrucktes Buch im Frühjahr herausgegeben. Das ist nicht nur für Touristen die in die Stadt kommen wollen, es ist auch für die Bremerhavener die ihre Stadt auf diesem Wege noch einmal ganz anders kennen lernen können.
Die Ideen für ihre Projekte finden sie im Brainstorming und weil sie viel im Internet surfen. Ein gesteigertes Interesse wie es in der Welt vor sich geht bildet die Basis. Dann schauen sie welche Aktionen sie in dieser Stadt, in der sie während des Studiums leben, durchführen können. Dabei spüren sie kaum Grenzen, denn: „wenn man Bock hat etwas zu machen ist es auch möglich.“ Es kommt also darauf an, dass man den eigenen Antrieb findet und/oder nutzt. No future war gestern, kreativ betätigen kann man sich immer. Und wer es weit genug damit treibt wird den Schwung hinter sich herziehen wie eine following sea. 

Samstag, 3. Dezember 2011

KunstRaum Geestemünde bangt um Zukunft

(Bremerhaven) Gestern wurde die vorerst letzte Ausstellung im KunstRaum Geestemünde eröffnet. Zur Begrüßung sprach Stadtrat Dr. Rainer Paulenz einige Worte. Er nutzte die Gelegenheit den KunstRaum einmal persönlich in Augenschein zu nehmen und stellte fest, dass sich viele Bürger für diese Einrichtung interessierten, Gesichter die er auch in der Kunsthalle Bremerhaven schon gesehen habe. Über die Zukunft des KunstRaums Geestemünde konnte er keine verbindliche Aussage treffen, stellte aber in den Raum es gäbe Bestrebungen den KunstRaum auch weiterhin zu ermöglichen.

Die anschließend einführende Rede von Friedo Stucke, dem Verleger und Herausgeber dieser KULTUR-NEWS, finden sie hier im Anschluss veröffentlicht. 

"Einführende Rede zur Ausstellung '3 und 40' vom 02.12.2011"

Ich darf sie herzlich zur letzten Ausstellung in diesen Räumen vom KunstRaum Geestemünde begrüßen. Alle Künstler, die bisher im KunstRaum ausgestellt haben, wurden eingeladen einen Betrag zu leisten. 34 Künstlerinnen und Künstler konnten dieser Einladung folgen. Es ist aber noch nicht der Zeitpunkt für den ultimativen Schwanengesang. Denn der Erfolg mit dem der KunstRaum diesen Stadtteil geprägt hat, der Idealismus und das Engagement der Organisatorinnen Barbara Röpke, Sandra Jakobs, Conny Wischhusen, Rita Madena und seit kurzem Barbara Meyer, sowie der unermüdliche Einsatz des Stadteilmanagers Thomas Ventzke, erzwingen nach dem gesunden Menschenverstand dass diese Galerie weiter geführt werden muss. Die Räume, die in vielen ehrenamtlichen Stunden renoviert und in Schuss gehalten wurden, stehen ab Januar wegen der Kosten nicht mehr zur Verfügung. Dazu ein kleiner Rückblick:
2006 initiierte Jochen Hertrampf in Bremerhaven die erste Kunstaktion „Kunst statt Leerstand“. Leere Ladenlokale, wie auch dieses hier, wurden für ein Wochenende mit Kunst belebt. Diese Aktion wiederholte sich in ähnlicher Weise 2007 und 2009. Um nicht nur eine Woche im Jahr die Leerstände zu beleben entstand die Idee einen KunstRaum längerfristig zu schaffen, was dann auch geschah, zuerst in der Georgstraße 61. Nach einer fünfmonatigen Pause ging es dann weiter in diesem leer stehenden Ladenlokal. Mit Unterstützung der Werbegemeinschaft Geestemünde, WIN-Fördermitteln, der Kreissparkasse Wesermünde, dem Standortmanagement Geestemünde und vielen anderen Helfern und Idealisten ist der KunstRaum in diesem Stadtteil zu einem Anlaufpunkt geworden. Der KunstRaum Geestemünde ist nicht die private Hobbyinitiative einiger selbstverliebter Möchtegernkünstler, sondern er ist viel mehr das Angebot das Leben in Geestemünde und weit darüber hinaus mit künstlerischen und kulturellen Impulsen zu versorgen, der in dieser Form nirgends angeboten wird. Jeden Monat stellten hier ein bis drei Künstlerinnen und Künstler aus. Darüber hinaus gab es weitere Veranstaltungen wie Lesungen, Performence und Kurse. Dies hier ist der noch weiter ausbaufähige KunstRaum um den Menschen eine Alternative zur Aussichtslosigkeit, Arbeitslosigkeit, Gewalt, Bildungsnotstand, Hoffnungslosigkeit, Drogen, Suff und, und, und zu geben.
Wie es weiter geht steht noch in den Sternen. Einen Monat vor Toresschluss gibt es noch keine Aussage wie es weiter geht. Es gibt Vertrauen und Idealismus, es gibt auch schon Lippenbekenntnisse, aber in trockenen Tüchern ist noch nichts. Und daher muss der KunstRaum Geestemünde, namentlich die Organisatoren, um die Zukunft dieser Einrichtung bangen. Bevor sie nun aus Anteilnahme ihre Geldbörse öffnen und eine überzeugende Spende in den Hut werfen, lassen sie uns einen Moment über Wertschätzung reden.
Wertschätzung hat zunächst einmal nichts mit Geld zu tun. Wertschätzung ist ein Ausdruck von Anerkennung der in unserer Zeit an Gewicht verloren hat. Unsere Wertmassstäbe sind an wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerichtet. Wir reden von "WIN-WIN-Situations", davon, was wir zurück bekommen wenn wir unsere Anerkennung oder Beteiligung ausdrücken. Wir sind kulturell kurz davor keine uneigennützige Wahrnehmung walten zu lassen. Wenn etwas keine materielle Basis hat, kann der Wert bald nicht mehr ermittelt werden. Im Staatshaushalt scheint es ja schon so zu sein, dass gerade die nicht materiellen Werte am meisten stören, die Sozialleistungen, die Leistungen die keinen merkantilen Gegenwert erzeugen. Unser gesellschaftliches, oder soll ich sagen politisches, Verhältnis zur Kunst ist da noch weit geringer ausgeprägt. Diese Haltung ist eine Geringschätzung, das krasse Gegenteil zur Wertschätzung. Wollen wir das? Nun, einmal angenommen wir wollen das nicht. Wie drück sich dann Wertschätzung aus?
Gerade in der Kunst treffen wir auf Angebote die uns verstören, verwirren und unser Weltbild ins Schwanken bringen. Aus einer Ausstellung sollten wir mit mehr Fragen heraus gehen als hinein. Eine Verstörung an uns heranzulassen bedeutet, dass wir uns für etwas öffnen das uns unbekannt ist, etwas dem wir unser Vertrauen schenken müssen. Das ist der erste Schritt zur Beteiligung, es ist eine aktive Handlung von uns gefragt, wir müssen etwas das nicht in unser Weltbild passt seine Berechtigung zugestehen. Und diese Berechtigung sollte so weit gehen, dass wir die Betrachter uns selbst in Frage stellen. Wenn wir nicht bereit sind unser Weltbild zu erschüttern, dann sollten wir nicht in eine Ausstellung gehen, sondern können getrost so lange warten bis die Welt um uns herum das für uns besorgt. Seit 2008 haben wir alle genügend Möglichkeiten gehabt zur Erschütterung auf die eine oder andere Weise. Wertschätzung ist also auch eine Frage ob wir Opfer oder Gestalter sein wollen. Kreativ handelnde Menschen suchen die Erschütterung um dann etwas neues aufzubauen. Opfer jammern über die Verhältnisse und schreien nach Gesetzen die ihr schwankendes Weltbild sichern sollen. Oder anders gesagt: Ein NPD-Verbot wandelt nicht einen einzigen Neonazi in einen demokratisch verantwortlichen Mitbürger.
Wertschätzung bedeutet, man nimmt etwas Unbekanntes wahr und lässt es in sich wirken ohne zu urteilen. Wir brauchen es nur umzudrehen. Warum sollten die anders Denkenden uns wertschätzen? Wertschätzung fördert die Angst, wir könnten von unseren Massstäben abweichen. Doch wer kann schon mit Bestimmtheit sagen was richtig und was falsch ist? Die Wissenschaft kann es nicht, sie tüftelt noch an vielen Rätseln. Der Glaube etwa? Wohl ehr nicht. Der bietet nur Trost. Wertschätzung kann ein Weg sein anzuerkennen: Keiner von uns hat je den Stein der Weisen geküsst. Es wäre die Offenheit zur Augenhöhe. Wertschätzung ist der gelebte Mut sich ins Ungewisse zu begeben aus dem man selbst gewandelt hervor tritt.
Wenn wir alle still stehen und kein Wort sagen, dann können wir uns nicht gegenseitig wertschätzen. Es bedarf der Äusserung, und im künstlerischen Sinn der extraordinären Äusserung, um eine Wertschätzung zu gestalten. Für Künstlerinnen und Künstler bedeutet dies eine erhöhte Aufrichtigkeit. Sie geben den Vertrauensvorschuss, sie machen die Einladung an Menschen die sich erschüttern lassen wollen. Sie manipulieren nicht, sondern stellen als erste in Frage. Und ihre erste Schau dessen was sie in Frage gestellt haben ist das ausgestellte Werk. Je nachdem wie tief sie in ihren Seelen gegraben haben, um eine Antwort oder ein Zwischenergebnis zu finden, sind sie verwundbar und selbst verstört. Die Schaffenden beginnen mit der Wertschätzung in dem sie ihren Selbstwert zu schätzen lernen. Die erlangte Aufrichtigkeit und Unvoreingenommenheit bleibt nicht in der Werkstatt, sie ist Teil der Person die schöpft, muss zwangsläufig mit in die Welt genommen werden die verlogen ist, in der betrogen wird, in der man argumentiert bis zum Krieg, in der Menschenleben leichtfertig für Machtansprüche geopfert werden, in der Lösungen weniger gelten als Kompromisse, in der Angst als probates politisches Mittel eingesetzt wird, in der Recht über den gesunden Menschenverstand gestellt wird. 
Welchen Wert hat der Seelenkampf den es kostet um zu schöpfen? Wie viele Stunden fallen in die Waagschale wenn der Wert eines Werkes geschätzt wird? Wie bemisst man den Gegenwert einer kunstschaffenden Stunde? Wer entscheidet was Wert ist Kunst genannt zu werden? Wie viel ist es Bremerhaven wert das der KunstRaum Geestemünde weiter besteht?
Vielen Dank!

Freitag, 25. November 2011

Die Bürgerliche Artefaktur endet mit Finissage



Collage von Ingeborg Rath
(Bremerhaven) Am Sonntag dem 27.11. endet mit einer Finissage um 11:00 das Kunstprojekt „take five“ in der „Alten Bürger“ 194 in Bremerhaven. In acht Wochen haben fünf Künstler aus Bremerhaven und der näheren Umgebung mit ihren Arbeiten im offenen Atelier die Lebensqualität mit Impulsen belebt. Die unterschiedlichen Arbeiten die in dieser Zeit entstanden bekommen einen Platz in Lokalen und Geschäften in der „Alten Bürger“
Die Problematik ist in der ganzen Stadt zu sehen. Viele Geschäfte stehen seit Jahren leer. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Zum einen ist die hohe Arbeitslosigkeit ein Fakt der die Kaufkraft schwächt. Sinkende Umsätze treiben viele, auch alteingesessene Geschäftsinhaber in die Pleite. Ein anderer entscheidender Grund ist die Ansiedlung von Verkaufszentren die am Rand der Stadt die Kunden ziehen. Für den Einzelhandel in den einzelnen Stadtteilen wird es dann zur Herkules Aufgabe ausreichende Umsätze zu generieren. Selbst Einkaufstempel wie das Mediterraneo in der Innenstadt kommen nicht auf die nötigen Umsätze. Straßenbaumaßnahmen, die so langfristig und behindert angelegt waren dass einige Geschäfte unerreichbar wurden, kostete manchem Einzelhändler die Existenz. All diese Sachen sind hinreichend in der Presse besprochen worden. Nun liegt der Scherbenhaufen da. Die Stadt setzt seit Jahren auf mehr Tourismus. Kleine ehr unbedeutende Schritte sind erfolgt. Die Havenwelten machen einen guten Eindruck. Doch falls es einem Besucher in den Sinn kommen sollte durch Geestemünde, Lehe oder die Bgm.-Smidt-Straße zu schlendern, wird es wohl schnell der letzte Ausflug gewesen sein den er in dieser Stadt plante. Denn einkaufen kann man auch am Heimatort, wenn dort nicht sogar noch viel besser, und leere und verfallene Geschäfte/Häuser gibt es auch überall in der Republik.
Alfredo Caranguejo
Holzsägearbeit
Um der Vergeisterstadtung entgegenzuwirken initierte Jochen Hertrampf vom Kulturladen Wulsdorf bereits im Jahr 2006 die Kunstaktion „Kunst statt Leerstand“ die sich über das gesamte Stadtgebiet erstreckte und an der 41 Künstler und Einrichtungen teilnahmen. Daraus ist so etwas wie eine Kulturaufgabe geworden. Aus „Kunst statt Leerstand“ wurde dann „Kultur statt Leerstand“, und immer wieder einzelne kleinere Kunst- und Kulturaktionen. In der „Alten Bürger“ gibt es die Quatiersmeisterei mit dem Kümmerer Jens Rillke. Der entwickelte mit Conny Wischhusen im Frühjahr 2011 die Idee in einem der vielen Leerstände ein offenes Atelier zu veranstalten. Mit dieser Aktion sollte die „Alte Bürger“ belebt werden. Sie erstellte ein Konzept, sprach einige Künstler an die mit ihren Arbeiten eine Vielfalt künstlerischen Schaffens anböten und stellte einen Förderantrag bei der WIN. Der Antrag wurde positiv entschieden und das Projekt startete am 2.10.2011. Jetzt, acht Wochen später, endet dieses Projekt. Durch das intensive Engagement der Künstler sind viele Werke entstanden und es haben viele kleine Geschichten statt gefunden. Man darf von einer Belebung sprechen, darf aber nicht vergessen, dass es keine Nachhaltigkeit gibt und die Impulse wahrscheinlich in wenigen Tagen oder Wochen verpufft sein könnten. Da muss die Frage gestattet sein ob es nicht sinnvoll wäre die Stadt insgesamt mit einem Kultur- und/oder Kunstförderprogramm auszustatten das sich auch nachhaltig auf den immer noch zu erwartenden Tourismus auswirkt? Die Förderung durch WIN kann bestenfalls als Trostpflaster angesehen werden. Denn die Effekte zeigen keine Nachhaltigkeit in Bezug auf die Wohnqualität-In-Nachbarschaft.
Das offene Atelier war an fünf Tagen in der Woche jeweils für mindestens zwei Stunden besetzt. Dann arbeiteten die Künstler vor den Augen der Passanten und Nachbarn. Interessiert kamen einige Bewohner aus der Umgebung herein, hielten eine Klönschnack, berichteten über ihre eigenen künstlerischen Aktivitäten, und organisierten spontan Mitmachaktionen. Ingeborg Rath, die mit selbst geschöpfem Papier eine Säule im Cafe de Fiets und andere Objekte collagierte, bekam Besuch von einem Kindergarten, um mit den Kindern deren eigenes Papier zu schöpften. Die Freude bei den Kindern war groß. Es tauchten bei ihr auch echte Bremerhavener Originale auf, so der „Rote Rolf“ der seine Erlebnisse mit Paul-Ernst Wilke teilte wie er mit ihm zusammen gemalt hatte. Hilke Leu hatte einige Kinder aus der Nachbarschaft zu Gast die sich zum zeichnen auf dem Fussboden ausbreiteten und die künstlerische Werkstatt-Atmosphäre genossen. Viele blieben auch nur an der Schaufensterscheibe stehen und beobachteten was im Laden geschah.
Anjou Reuter, Weidengeflecht
Das Arbeiten in einem offenen Atelier entspricht nicht unbedingt dem künstlerischen Schaffen. Es ist eine Einladung an die die sich näher dafür interessieren wie Kunst entsteht. Es kann nur ein schnuppern sein. Die intensiven Prozesse finden meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Wenn z.B. Hilke Leu zum schmieden in die Werkstatt geht dann fällt die Welt von ihr ab und sie versinkt in ihre Arbeit. So etwas ist in einem offenen Atelier nicht möglich. Andererseits können direkte Kontakte mit dem Publikum auch herzerfrischend sein, wie sie berichtet. Anders war es da schon für Alfredo Caranguejo der seit 45 Jahren in der Szene auf der „Alten Bürger“ wandelt. Er hat einige Werke in den Läden gelassen und freut sich „So habe ich mich auf der Bürger verewigt und verwirklicht.“ Man kann auch nicht davon ausgehen in dem Zweistunden-Zeitfenster seine Kreativität anzuknipsen wenn man schon einen Arbeitstag hinter sich hat. So machte Conny Wischhusen in der Zeit  einige vorbereitende Arbeiten für die Linoldrucke um dann in ihrer Werkstatt auf der Presse die Drucke herzustellen. Die Druckpresse hätte sie eh nicht in die „Alte Bürger“ schleppen können. Anders war es da bei Anjou Reuter der sich hinsetzte und mit seinen Weiden arbeitete. Die künstlerischen Arbeitsweisen unterscheiden sich eben doch erheblich.
Am Sonntag werden nun die Werke ausgestellt. Die Geschichten mit den Quatiersbewohnern sind bereits erlebt. Die einzelnen Stücke sind zum Teil schon in den Geschäften oder Lokalen. Die verbliebenen werden dann ab 11:00 an die neuen Besitzer übergeben wenn die Sektkorken knallen. Die Wirte und Geschäftsinhaber haben sich offen für diese Aktion gezeigt und waren immer mit Hilfestellungen zur Hand wenn Mal Strom fehlte oder Wasser. Aber auch mit einem Kaffee und Tee kamen sie gerne ins Atelier um ihren Dank und ihre Verbindlichkeit zu bekunden. Was hier im kleinen auf Zwischenmenschlicher Ebene gut funktionierte darf gerne auf die weitreichenden und größeren Aufgaben in der Stadt übertragen werden. Und dann entsteht vielleicht doch noch ein Fünkchen Nachhaltigkeit.

Montag, 21. November 2011

Weihnachtsstück im „piccolino haventheater“

Bremerhaven (neph) Theater für kleine Menschen im „piccolo teatro haventheater“ nennt sich „piccolino“. Gestern war Premiere mit dem Weihnachtsstück „Mama Muh“ für Kinder und jung gebliebene Erwachsene.
Das kleine Zimmertheater in der Alten Bürger 200, in Bremerhaven, erfindet sich immer wieder neu. Auf der Handtuch großen Bühne entstehen immer wieder überraschende Welten. Die Begrenzung durch Wände kann man nicht spüren wenn im „piccolo“, oder jetzt auch „piccolino“ das Licht angeht. Es ist ein Stall mit echtem Stroh, Gartenwerkzeugen und Milchkannen aufgebaut. Staub und Spinnweben, eine schwache Funzel und Mäuse (aus Stoff) geben die Stimmung. Und diese Stimmung zieht die Kinder und Erwachsenen in ihren Bann. Ein Blick über die Schulter und ich sehe strahlende Kinderaugen die bei jeder Bewegung auf der Bühne mitfiebern. Eltern, die gewöhnlich vorrangig zu solchen vorweihnachtlichen Vorstellungen wegen der Aufsicht mitgehen, haben einen Glanz und eine Faszination im Gesicht gleich dem ihrer Schützlinge. Was macht es aus, dass diese Spannung entsteht und im gesamten Spielverlauf rüber kommt? Bei einem Kinderstück stellt sich auch die Frage wer der bessere Kritiker ist: Der Verfasser dieser Zeilen oder das naivste und direkteste jüngste Publikum? Natürlich sind es die Kinder! Also lese ich meine Kritik von den Gesichtern der Unbestechlichen ab. Während der Einlasszeit viel Rumoren. Einige quengeln, andere weinen, Ungeduld wird geäußert und manche wechseln noch Mal die Plätze. Doch als Heike Eulitz als "Mama Muh" mit ihrem Rad aus der Bibliothek mit den Büchern kommt wird es mucksmäuschen still. Sie lauschen und haften sich mit ihren Augen ans Spiel. Kindern muss man ständig etwas anbieten um sie bei der Stange zu halten. Sie denken nicht, sie leben mit auf der Bühne im Stall und im Krähennest, in dem Dayen Tuskan als Krähe und bester Freundin von "Mama Muh" wohnt. Dayen Tuskan und Heike Eulitz erfüllen diesen Punkt voll und ganz. Sie spielen in einem dynamischen Fluss der sich mit der Atmung der Kinder zu verbinden scheint, und so ein großes Theater-Publikum-Tier entsteht, dem sich niemand entziehen kann. Von Anfang bis Ende. Das Spiel von der Bühne im Ohr und den Blick auf die Kinder sehe ich wie sie oft vor lauter miterleben das Lachen vergessen. Hier und da haucht ein Lächeln über die Gesichter, doch das Spiel geht schon weiter - und bevor man was verpassen könnte was dort auf der Bühne geschieht - verzichten sie lieber, wenn auch unbewusst, auf den Lacher. Erst ganz zum Schluss, als das Stück zur Auflösung kommt, brachen sich die gehaltenen Lacher Bahn. Die Kinder lachten vor Glück ohne einen genauen Anlass zu kennen. Volltreffer! Bravo!
Dayen Tuskan links und Heike Eulitz
Das Stück wurde von Dayen Tuskan geschrieben vom Oetinger Verlag autorisiert und von Roberto Widmer inszeniert. Es ist eine Compilation mehrerer Bücher und Geschichten von "Mama Muh". Der Inhalt dieser Fassung beschreibt die Vorbereitungen auf das nahende Weihnachtsfest. Es handelt von Freundschaft, Toleranz, Hilfsbereitschaft, Neugier, Ungeduld, Achtung und Alltag. Kein erhobener Zeigefinger, vielmehr "nachvollziehbare Situationen und für jede Religion verständlich", zieht sich als Motto durch die Handlung. In einer simplen Sprache wird kurz und knapp erzählt. Wie in einem Atemzug schreitet die Handlung voran. Wenn es eine Aussage gibt, dann vielleicht diese: „Lebe ehrlich und aufrichtig in jedem Augenblick mit deinen Freunden“. Das macht neugierig darauf noch öfter etwas von Dayen Tuskan zu hören. Und ganz nebenbei löst Roberto Widmer das Versprechen ein, im „piccolo“ eine Bühne zu bieten auf der sich neue Künstler ausprobieren können. Wo sonst ginge das für Theatermenschen in dieser Stadt?
Nach dem Schlussapplaus zieht es die Kinder magnetisch auf die Bühne, zu dem Ort an dem sich gerade alles abgespielt hat. Autogramme werden gegeben und die Requisiten bewundert. Dieses Erlebnis wird den Kindern noch lange in Erinnerung bleiben. Und nun die halbbittere Pille hinterher: die Vorstellungen sind ausverkauft. Und einen Trost gibt es auch: es gibt eine Warteliste auf der man sich eintragen lassen kann. Und dann wird es wohl noch zusätzliche Vorstellungen geben, hoffentlich. Anmeldungen unter 0471 - 4838 777 oder info@haventheater.de 

Dienstag, 8. November 2011

Wie spricht Gemüse





(Bremerhaven) Im Fischereihafen in einer ehemaligen Produktionsstätte für Rollmöpse und andere Leckerei ist das Figurentheater Bremerhaven von Ulrike Andersen beheimatet. Seit einigen Jahren steht die Kartoffelkomödie, ein Ritterdrama, auf dem Spielplan. Das ist schwarzer Humor für Erwachsene die sich gerne einmal verzaubern lassen wollen.
Das Figurentheater befindet sich recht unscheinbar in der ausgedienten zwei geschoßigen Packhalle V. Eine schmale Treppe führt nach oben. Rechts ist ein Fotoatelier und grade aus steht die Tür zum Theater offen. Draußen alte, zig Mal umgebaute Ziegelmauern und oben ein liebevoll hergerichteter Veranstaltungsraum. Draußen fegt der herbstliche Wind über den Asphalt und drinnen wartet ein Tempel der Verzauberung auf das Publikum. Musik hinter der Bühne macht Atmosphäre. Die Gespräche auf den Reihen klingen wie in einem privaten Wohnzimmer. ca 40 bis 50 Gäste können Platz nehmen, man ist hier unter sich. Die Gäste eines Figurentheater sollten sich noch ein bisschen Erinnerung an ein Puppenhaus aus ihrer Kindheit erhalten haben. Es ist die kleine Welt in der alles möglich ist, eine Welt die keine Grenzen kennt und von der wir selbstverständlich wissen: sie ist irreal, Fantasie, Zauber und gibt Raum zum durchatmen von den Sorgen des Alltags.
An der Kasse bekommen wir einige Hinweise. Dort ist die Garderobe, hier die Getränke, in wenigen Minuten geht es los wir warten noch auf weitere angekündigte Gäste. Die Wartezeit überbrückt der freundliche Mann in dem er uns etwas über das Gebäude berichtet, wie dort früher gearbeitet wurde, wie man die Körbe mit Fisch durch ein Loch im Fussboden hiefte. Diese kleine persönliche Ansprache verbindet die Gäste die sich untereinander nicht kennen zu einer Gruppe Zuschauer. Wir schauen jetzt wie eine familiäre Gemeinschaft, ein Grundmass an Intimität entsteht. Als ob wir ein Geheimnis teilen würden, das wir ausserhalb dieser Mauern niemanden erzählen würden: Die Liebe zur kindlichen Fantasie. Dann geht es los.
Ulrike Andersen, verkleidet als bäuerliche Hausfrau, erscheint mit einem Topf voll Kartoffeln. Sie setzt sich und beginnt zu schälen und zu erzählen. Ein Prolog. Dann geht sie ab und die Figuren übernehmen das Spiel. Eine Hand-Kartoffelpresse tobt fauchend mit aufgerissenen Maul durch die Landschaft. Ein roter Gummihandschuh versucht sich in Sicherheit zu bringen. Aussichtslos! Nach wenigen Fluchtversuchen hat die Kartoffelpresse den Handschuh im Maul. So ist der gefürchtete Drache. Der König und seine Prinzessin, mit Kartoffelköpfen, haben sich im sicheren Kochtopf zurück gezogen. Wer es schafft den Drachen zu töten soll die Prinzessin zur Frau bekommen, verkündet der König. Da kommt einer der sich in die Prinzessin verliebt. Doch das muss geheim bleiben, den sie ist ja schon dem Drachentöter versprochen. Dann kommt einer dem man es sofort zutrauen mag, dass er den Drachen erlegt. Aufgebläht vor Mut und Stolz schreitet er zur Tat, allerdings planlos. Ich will nicht alles verraten. Der Drache wird nach einigen Verwicklungen getötet und durch Intrigen so auch manch anderer. Es gibt ein Happy End, soviel sei gesagt.
Gigolo kampfbereit gegen den Drachen
Das Spiel und die Sprache der Puppenspielerin überraschen durch kunstvoll erfundene Eigenwilligkeit. In einer Puppenwelt wird man kaum Texte erwarten die ein Goethe oder Schiller mit feinsinnlicher literarischer Begabung zisilierte. Es sind aber auch nicht nur Laute die von den Kartoffelfiguren und den Küchengeräten gestöhnt, gefaucht oder gehaucht werden. Ulrike Andersen hat eine ganz eigene Sprache ersonnen die so vortrefflich auf Charaktere und Situationen passt, dass man aus dem Staunen nicht heraus kommt. Man erkennt die Sprechmelodie der italienischen Sprache um einen Charakter zu zeichnen und dann eine nordischen Sprachmelodie für einen anderen. Sie spielt aber auch noch mit lateinischen Brocken in Situationen da man zwar eine konkretere Ahnung braucht was gesagt sein muss, aber nicht in die rationale Verständigung abgleiten darf. Und dann in wieder anderen Situationen sprechen die Figuren wie aus der Luft gegriffene deutsche Floskeln, die in ihrer Spontaänität keinem Charakter zugeordnet werden können, sondern vielmehr Situation bleiben. So bleibt die Kommunikation auf der Ebene einer Fantasiesprache diffus und hochkommunikativ zugleich. Die Wahrnehmung konzentriert sich auf die zwei qm Spielfläche und dem darin befindlichen Königreich. Man fiebert mit den Figuren und versteht alles aus der Handlung heraus, als wäre man ein weiterer Charakter, eine mitspielende Kartoffel.
Neben der Sprache ist die Handlung oder das Spiel der Figuren die wichtigste Komponente. Mimik ist den Kartoffeln leider nicht gegeben. Ulrikes Figuren haben eine dynamische Rhythmik als stärkstes Ausdrucksmittel. Wie im Film die Geschichte wesentlich durch die Bildersprache erzählt wird, so sind es hier längere Passagen in denen die Charaktere die Gäste in die Wunderwelt mitreißen. Wie der Gigolo sich hinter einer Tasse mit Kochgeschirr versteckt, oder sich ein Petersillienzweig als Nelke ansteckt, und nicht zuletzt der erste Kuss zwischen dem Liebespaar. Das sind Momente die man kaum einen Schauspieler in dieser Intensität und Glaubwürdigkeit zutraut. Das sind die Augenblicke in denen man in die Puppen- oder Figurenwelt eintaucht und eine von ihnen wird. Das Spiel ist fesselnd ohne spektakulär zu werden, es ist ergreifend ohne gefühlsduselig zu werden und es ist schlicht auf das wesentliche reduziert.
Nach der Vorstellung, die mit gebührendem Beifall bedacht wurde, läd die Spielerin die Gäste ein zu Pellkartoffeln mit Butter. Zwei große Kummen mit dampfenden Kartoffeln stehen bereit. Überrascht zögern einig, doch dann stehen sie auf und bedienen sich. Man sitzt noch einige Zeit zusammen und klönt über dies und das. Es fällt schwer nach Hause zu gehen, der Abend war schön.
Wer das Figurenhteater, und besonders die Kartoffel Komödie, noch nicht kennt darf sich auch weiter hin auf eine weitere Aufführungen freuen. Für 2011 ist die Komödie abgespielt, aber im kommenden Jahr gibt es wieder neue Vorstellungen. Ausserdem kann man die Komödie auch für besondere Anlässe buchen. Kontakt (www.figurentheater-bremerhaven.de) Tel.: 0471-417584

Sonntag, 6. November 2011

Bilder und Schmiedearbeiten im Kunstraum Geestemünde

(Bremerhaven) Am Freitag eröffnete im "KunstRaum Geestemünde" eine neue Ausstellung. Diesmal sind es drei Künnstlerinnen; Waltraut Roosch, Monika Schultz Malerei und Brigitte Schilling Schmiedekunst. Zur Einstimmung sang das A-capella-Ensemble „5 Zylinder 5 Takt“.
Das Angebot künstlerischer Arbeiten ist groß in der Region Bremerhaven. Und wie kürzlich ein Kommentator auf Facebook postete, avanciert Bremerhaven zur kulturellen Großtstadt. Die Aussage ist evtl. ein kleines bisschen übertrieben. Dennoch ist Kunst ein herausragendes Potential dieser Region. Immerhin kann der Kunstraum Geestemünde jeden Monat durchschnittlich zwei Künstlerinnen oder Künstler ausstellen, und das mit hohem Engagement und niedrigem Budget. 

B. Schilling Ringe
Brigitte Schilling bildete sich seit 2000 für Schmiedearbeiten bei der VHS, der Europäischen Kunstakademie und an der Uni Bremen weiter. Ihre Arbeiten lassen den engen Bezug zum Christentum erkennen. So ist ihre künstlerische Aussage in einem Gebot leicht wieder zu geben: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Für sie ist Kunst sowohl Zufall als auch das Mittel mit dem kommuniziert wird. Die christlichen Symbole sind in ihren Arbeiten immer wieder zu finden.
Eine Besucherin stellte fest dass das Bildangebot sehr hoch ist. Sehr viele Malerinnen und Maler sind in der Region anzutreffen. So ist es zu begrüßen, dass diese beiden Malerinnen ihre Bilder gemeinsam nach Themen und Farben gehangen haben und nicht getrennt nach der Person. Der Betrachter kann hier mehr von der Malerei erfahren wenn er vergleichbare Bilder neben einander hat und sich orientieren kann wie die eine es gemacht hat und wie die andere. Waltraut Roosch und Monika Schultz haben Überschneidungen in der Ausbildung. Als gemeinsame Lehrer können sie Elke Pries, Monika Sieveking, Carmelo Cicero und Peter Krusche nennen. Die Bilder sind experimentell in der Wahl und Anwendung der Materialien. Die Farben leuchten im Duett. Während Roosch mehr graphische Elemente in den Bilder hat sind die Arbeiten von Schultz deutlich abstrakter. Beide arbeiten ohne ein vorheriges Konzept. Die Bilder entstehen durch ein vielfaches ausprobieren über einen langen Zeitraum.
Am 20.11.2011 wird die Ausstellung mit einer weiteren Veranstaltung interessant. Dann rezitiert die Worpsweder Künstlerin Friedericke Dorothee Fricke Engelsgedichte von Rainer Maria Rilke. Beginn 15:00 der Eintritt ist frei.

Donnerstag, 3. November 2011

Poetry Slam erreicht Bremerhaven


(Bremerhaven) Dienstag Abend fand in der VHS der erste Poetry Slam statt. Die Idee wurde von Eberhard Pfleiderer aufgegriffen und auf Seestadtniveau umgesetzt. Mit neun Autoren und ca 50 Gästen wurde im Ausbildungs-Restaurant der Volkshochschule Bremerhaven der Versuch unternommen, diese in der gesamten Bundesrepublik seit Jahren bekannten Literaturform, ein Forum zu geben.
Was ist ein Poetry Slam? Diese Frage dürfte vielen Bremerhavenern unter den Nägeln brennen. Selbst viele der anwesenden Gäste hatten keine klare Vorstellung davon. Die Basis ist ein ca. sieben minütiger Text. Ein Autor, oder so genannter Slammer, schreibt einen Text in diesem Zeitmass. Von Slam zu Slam wird dieses Zeitmass abgewandelt. Es können auch mal fünf oder zehn Minuten sein die einem Slammer zur Verfügung gestellt werden. Da kommt es auf die Sprachgewandtheit der Slammer an, wenn sie ihren Text in kürzerer Zeit dabieten müssen. Die Texte sind oft philosophisch, spritzig, und stehen den Rap-Texten nahe. Gewöhnlich sind die Texte so verdichtet, dass man sie nicht mehr verstehen kann sondern erleben muss um sie zu erfahren. Um das zu erreichen werden die Texte so zu sagen mit Sprachwitz, Wortspielereien, Metaphern, Sprechmelodie und vielen experimentellen Komponenten komponiert. Poetry Slam kann man als die Hochform des „kreativen Schreibens“ bezeichnen. Dabei werden alle Regeln freizügig gebrochen um ein Literaturerlebnis zu schaffen, dass sich durch die Kunst des Lesens oder Aufsagens auszeichnet. die sieben Minuten-Texte zu schreiben darf man ohne Scham als eine aussergewöhnliche Fähigkeit bezeichnen.
Obwohl diese Form der Literatur den Autoren viel abverlangt ist sie als Literaturform in den Elfenbeintürmen der Sprachwissenschaft noch nicht anerkannt. So wird beispielsweise beim „Poetry an the Road“ in Bremen Poetry Slam strikt ausgeschlossen. Die Veranstalter begründen das mit der nicht normfähigen Natur dieser Literaturform. Es ist eben zu viel erlaubt und die Kategorie „Dauer“ sagt nicht genug über die Form aus. Nichts desto Trotz erfreuen sich seit einigen Jahren Poetry  Slam Veranstaltungen wachsender und großer Beliebtheit. Im Rhein-Main-Gebiet sind Slams mit 500 bis 1000 Gästen keine Seltenheit. Es gibt Wettkämpfe bei denen die besten Slammer der BRD ermittelt werden. In Städten wie Hamburg gibt es kein Wochenende an dem nicht mehrere Poetry Slams statt finden. Es ist also wirklich „verwunderlich“, wie Eberhard Pfleiderer zur Einführung in der VHS sagte, „dass es in Bremerhaven bisher noch nicht angekommen sei“. Grade der Tourismusbranche müsste es doch aufgefallen sein wie viele Kurzbesucher mit dieser Veranstaltungsform in die Stadt zu locken wären. Dazu muss man wissen das die Slammer viel unterwegs sind und quasi an jedem Wochenende in einer anderen Stadt auftreten, und dabei oftmals ihre Fangemeinde im Schlepptau oder vor Ort haben. Sie werden oft eingeladen und bekommen kein Honorar, sondern lediglich ihre Reisekosten erstattet.  Auf der Internet Seite My.Slam.de finden sich einige Akteure die an über 1000 Veranstaltungen teilgenommen haben.
Es gibt einige Regeln nach denen ein Poetry Slam abgehalten wird. 1. Ca. sieben Minuten Text hatte ich schon erwähnt. Wird diese Zeit überschritten gibt es verschiedenen Möglichkeiten darauf zu reagieren. Beim „Slammer Filet“ in Bremen wird ein steigender „Hafenumgebungslaut“ eingespielt bis der Slammer nicht mehr zu verstehen ist. Es gibt auch die Variante einen Wecker klingeln zu lassen oder mit einer Hupe zu tröten. Oder eine andere Variante, die in der „Kuß Rosa“ im Bremen praktiziert wird, ist, dass das Publikum den Slammer ausbuht oder ihn lautstarkt zum weitermachen auffordert. 2. Eine Jury wird aus dem Publikum gefunden in dem man fünf bis acht zu Juroren ernennt die sich freiwillig dazu melden. Sie urteilen nach eigenem Geschmack und so wie sie sich von dem Restpublikum beeinflussen lassen mit einer Note von 1 bis 10. Die höchste und die niedrigste Wertung werden dann gewöhnlich gestrichen. Dabei wird ungeregelt davon ausgegangen; jemand der sich traut einen eigenen Text vorzulesen beweist soviel Mut, dass er nicht geringer als mit der Note 4 bewertet wird. Auch Juroren werden immer wieder mal ausgebuht. Es geht dabei nicht so sehr um eine objektive Beurteilung, sondern um einen Gewinner zu ermitteln. 3. Der Text muss alleine tragen. Der Slammer darf keine Requisiten und kein Schauspiel/Gesang einsetzen um sich eine bessere Bewertung zu erschleichen. Ein gewöhnlicher Hut als Kopfbedeckung ist gestattet sofern er neutral zum Text ist. Die Slammer können vom Blatt lesen oder auswendig aufsagen. Das steht ihnen frei. 4. Es werden je nach Anzahl der Teilnehmer zwei Halbrunden gelesen. Dann lesen die Gewinner der beiden Halbrunden in einer Schlussrunde aus der dann der Gewinner des Abends ermittelt wird. Der Gewinn ist eine Flasche Alkohol, ein gebrauchtes Buch o.ä., Geldpreise sind verpönt. Die Slammer werden mit Getränken für diesen Abend vom Veranstalter freigehalten. Der Spass an der kulturellen oder künstlerischen Betätigung steht an erster Stelle.
Der erste Slam in der Seestadt kam mit einer ehr steifen Zurückhaltung daher. Die o.g. lockeren Regeln wurden missachtet und bestenfalls als Anregung verstanden um etwas anderes zu regeln. Warum das Rad hier neu erfunden werden musste wird wohl ein Geheimnis bleiben. Warum eine dreiköpfige Jury aus Dr. Beate Porombka (VHS), Rainer Donsbach (NZ) und Eberhard Pfleiderer sinnvoller war, wurde auch nicht richtig deutlich. Das aufwendige Beurteilungsverfahren überzeugte keineswegs. Es wurde nach drei aus der Luft gegriffenen Kategorien entschieden: A) Form des Vortrags, B) passt die Form zum Inhalt und C) Ausdruck des Vortrags. Besonders C) verwundert, weil doch beurteilt werden sollte ob der Vortrag beim Publikum angekommen sei. Das Publikum war anwesend, man hätte es fragen können.

Mathias Meier in Aktion
Die neun Autoren trugen ihre Schriften mit Herzblut vor. Die Texte wurden brav bis stürmisch mit Beifall bedacht. Es waren nicht unbedingt die typischen Slam-Texte, was der Veranstaltung nicht schadete. Im Gegenteil: mit der Lyrik wie sie von Manfred Barkhausen und Helmut Heiland vorgetragen wurde könnte ein eigenständiges Slam-Profil für die Seestadt entstehen. Den einzigen typischen Slam-Text präsentierte Mathias Meier. Er erreichte das Publikum unvermittelt und gewann die ungeteilte Sympathie aller und den ersten Preis; ein gebrauchtes Buch.
Abschließend kündigte Eberhard Pfleiderer an in einem Jahr evtl. einen nächsten Slam zu veranstalten. Bis dahin bleibt viel Zeit zur Reflektion und sich näher mit dem Thema zu beschäftigen.