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Dienstag, 8. November 2011

Wie spricht Gemüse





(Bremerhaven) Im Fischereihafen in einer ehemaligen Produktionsstätte für Rollmöpse und andere Leckerei ist das Figurentheater Bremerhaven von Ulrike Andersen beheimatet. Seit einigen Jahren steht die Kartoffelkomödie, ein Ritterdrama, auf dem Spielplan. Das ist schwarzer Humor für Erwachsene die sich gerne einmal verzaubern lassen wollen.
Das Figurentheater befindet sich recht unscheinbar in der ausgedienten zwei geschoßigen Packhalle V. Eine schmale Treppe führt nach oben. Rechts ist ein Fotoatelier und grade aus steht die Tür zum Theater offen. Draußen alte, zig Mal umgebaute Ziegelmauern und oben ein liebevoll hergerichteter Veranstaltungsraum. Draußen fegt der herbstliche Wind über den Asphalt und drinnen wartet ein Tempel der Verzauberung auf das Publikum. Musik hinter der Bühne macht Atmosphäre. Die Gespräche auf den Reihen klingen wie in einem privaten Wohnzimmer. ca 40 bis 50 Gäste können Platz nehmen, man ist hier unter sich. Die Gäste eines Figurentheater sollten sich noch ein bisschen Erinnerung an ein Puppenhaus aus ihrer Kindheit erhalten haben. Es ist die kleine Welt in der alles möglich ist, eine Welt die keine Grenzen kennt und von der wir selbstverständlich wissen: sie ist irreal, Fantasie, Zauber und gibt Raum zum durchatmen von den Sorgen des Alltags.
An der Kasse bekommen wir einige Hinweise. Dort ist die Garderobe, hier die Getränke, in wenigen Minuten geht es los wir warten noch auf weitere angekündigte Gäste. Die Wartezeit überbrückt der freundliche Mann in dem er uns etwas über das Gebäude berichtet, wie dort früher gearbeitet wurde, wie man die Körbe mit Fisch durch ein Loch im Fussboden hiefte. Diese kleine persönliche Ansprache verbindet die Gäste die sich untereinander nicht kennen zu einer Gruppe Zuschauer. Wir schauen jetzt wie eine familiäre Gemeinschaft, ein Grundmass an Intimität entsteht. Als ob wir ein Geheimnis teilen würden, das wir ausserhalb dieser Mauern niemanden erzählen würden: Die Liebe zur kindlichen Fantasie. Dann geht es los.
Ulrike Andersen, verkleidet als bäuerliche Hausfrau, erscheint mit einem Topf voll Kartoffeln. Sie setzt sich und beginnt zu schälen und zu erzählen. Ein Prolog. Dann geht sie ab und die Figuren übernehmen das Spiel. Eine Hand-Kartoffelpresse tobt fauchend mit aufgerissenen Maul durch die Landschaft. Ein roter Gummihandschuh versucht sich in Sicherheit zu bringen. Aussichtslos! Nach wenigen Fluchtversuchen hat die Kartoffelpresse den Handschuh im Maul. So ist der gefürchtete Drache. Der König und seine Prinzessin, mit Kartoffelköpfen, haben sich im sicheren Kochtopf zurück gezogen. Wer es schafft den Drachen zu töten soll die Prinzessin zur Frau bekommen, verkündet der König. Da kommt einer der sich in die Prinzessin verliebt. Doch das muss geheim bleiben, den sie ist ja schon dem Drachentöter versprochen. Dann kommt einer dem man es sofort zutrauen mag, dass er den Drachen erlegt. Aufgebläht vor Mut und Stolz schreitet er zur Tat, allerdings planlos. Ich will nicht alles verraten. Der Drache wird nach einigen Verwicklungen getötet und durch Intrigen so auch manch anderer. Es gibt ein Happy End, soviel sei gesagt.
Gigolo kampfbereit gegen den Drachen
Das Spiel und die Sprache der Puppenspielerin überraschen durch kunstvoll erfundene Eigenwilligkeit. In einer Puppenwelt wird man kaum Texte erwarten die ein Goethe oder Schiller mit feinsinnlicher literarischer Begabung zisilierte. Es sind aber auch nicht nur Laute die von den Kartoffelfiguren und den Küchengeräten gestöhnt, gefaucht oder gehaucht werden. Ulrike Andersen hat eine ganz eigene Sprache ersonnen die so vortrefflich auf Charaktere und Situationen passt, dass man aus dem Staunen nicht heraus kommt. Man erkennt die Sprechmelodie der italienischen Sprache um einen Charakter zu zeichnen und dann eine nordischen Sprachmelodie für einen anderen. Sie spielt aber auch noch mit lateinischen Brocken in Situationen da man zwar eine konkretere Ahnung braucht was gesagt sein muss, aber nicht in die rationale Verständigung abgleiten darf. Und dann in wieder anderen Situationen sprechen die Figuren wie aus der Luft gegriffene deutsche Floskeln, die in ihrer Spontaänität keinem Charakter zugeordnet werden können, sondern vielmehr Situation bleiben. So bleibt die Kommunikation auf der Ebene einer Fantasiesprache diffus und hochkommunikativ zugleich. Die Wahrnehmung konzentriert sich auf die zwei qm Spielfläche und dem darin befindlichen Königreich. Man fiebert mit den Figuren und versteht alles aus der Handlung heraus, als wäre man ein weiterer Charakter, eine mitspielende Kartoffel.
Neben der Sprache ist die Handlung oder das Spiel der Figuren die wichtigste Komponente. Mimik ist den Kartoffeln leider nicht gegeben. Ulrikes Figuren haben eine dynamische Rhythmik als stärkstes Ausdrucksmittel. Wie im Film die Geschichte wesentlich durch die Bildersprache erzählt wird, so sind es hier längere Passagen in denen die Charaktere die Gäste in die Wunderwelt mitreißen. Wie der Gigolo sich hinter einer Tasse mit Kochgeschirr versteckt, oder sich ein Petersillienzweig als Nelke ansteckt, und nicht zuletzt der erste Kuss zwischen dem Liebespaar. Das sind Momente die man kaum einen Schauspieler in dieser Intensität und Glaubwürdigkeit zutraut. Das sind die Augenblicke in denen man in die Puppen- oder Figurenwelt eintaucht und eine von ihnen wird. Das Spiel ist fesselnd ohne spektakulär zu werden, es ist ergreifend ohne gefühlsduselig zu werden und es ist schlicht auf das wesentliche reduziert.
Nach der Vorstellung, die mit gebührendem Beifall bedacht wurde, läd die Spielerin die Gäste ein zu Pellkartoffeln mit Butter. Zwei große Kummen mit dampfenden Kartoffeln stehen bereit. Überrascht zögern einig, doch dann stehen sie auf und bedienen sich. Man sitzt noch einige Zeit zusammen und klönt über dies und das. Es fällt schwer nach Hause zu gehen, der Abend war schön.
Wer das Figurenhteater, und besonders die Kartoffel Komödie, noch nicht kennt darf sich auch weiter hin auf eine weitere Aufführungen freuen. Für 2011 ist die Komödie abgespielt, aber im kommenden Jahr gibt es wieder neue Vorstellungen. Ausserdem kann man die Komödie auch für besondere Anlässe buchen. Kontakt (www.figurentheater-bremerhaven.de) Tel.: 0471-417584

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