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Mittwoch, 11. April 2012

Eistau im Magazin

(Bremerhaven) Nach dem Roman „Eistau“ von Ilija Trojanow haben Natalie Driemeyer und Lorenz Langenegger eine Theaterfassung geschrieben. Das Stadttheater Bremerhaven hat in der Regie von Till Wyler von Ballmoos die Uraufführung im Magazin des Theaters produziert. Die Premiere war am 24. März 2012. Weitere Vorstellungen am 28. 04., 29.04., 6.5., 7.5. alle ausverkauft. Für Juni gibt es noch Karten.
Wenn man einem Theatermacher sagt, es sei Mal etwas anderes, was er da gemacht hätte, dann möchte er am liebsten im Boden versinken. Die Inszenierung von Eistau ist einmal was anderes. Kann man so machen, ist nicht besonders, aber es geht. Die zig ausrangierten Möbel und Gegenstände aus jahrelang abgespielten Stücken warten nur auf ihre Renaissance. Hier wurde nun mit großer Anstrengung viel totes Mobiliar wiederbelebt. Wie das immer zur Geschichte passte ist eine andere Frage. Jedenfalls kann eine große Anstrengung zu verkrampften Handlungen führen. Dem einen oder anderen mag das gefallen, muss es aber nicht. Die, die immer eine Geschichte in einem Theaterstück erwarten schauten etwas konsterniert. Die anderen die sich einmal überraschen lassen wollten, die schon zufrieden sind wenn man ihre Sinne durch einen fremden Raum irritiert, blickten ganz zufrieden. Es zwängt sich eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf.
Sieben SchauspielerInnen, ein Musiker, und wer-weis-wie-viele Assistenten und Entscheider drum herum und Backstage haben Texte geschrieben, gelernt, inszeniert, haben Fundusgerümpel, Schränke, Stühle, Gerätschaften, Kulissen bewegt, umgestapelt, arrangiert, gesichert und verschraubt. Ein riesiges Gerüst aus Stahlrohren mit Holzbohlen beplankt auf dem wiederum Möbel und Gerät aufgetürmt wurde, überragt die Drama-Altlasten-Sammlung der letzten 10 oder mehr Theaterjahre. In dem Gewusel von Material, Bauten und Beleuchtungstechnik wird einmal deutliche wie die Verhältnismäßigkeit zwischen Ausstattung und Schauspiel ist. Und ohne eine annähernd treffende Einschätzung zu geben drängt sich mir die Frage auf wie man die SchauspielerInnen ersetzen kann. Im Film konnte dieses Problem gelöst werden. Siehe „Avatar“, „Die Unglaublichen“ oder „Fangt Nemo“ und weitere. Vielleicht könnte man computeranimierte Hologramme in die Spielräume projizieren? Und ich frage mich wieso der Schauspieler in seinen Rollen so degeneriert genutzt wird. Sie wirken wie „Talking Heads“. Sie sind so sehr damit beschäftigt sich um ihre Gänge zu kümmern, auf Einsätze zu achten, durch den Bühnenbild-Parcours zu navigieren, und den Text des Stücks zu erinnern das sie gerade im jeweiligen Moment spielen, dass kaum noch Raum und zeit bleibt etwas zu kreieren, einen Charakter auszufüllen, einer Spielzeit darzustellen, Dialoge zu führen, Spannungsbögen aufzubauen, und vor allem die Faszination einer Realitätsverschiebung für das Publikum zu erschaffen das den Unterschied von Alltag zu Theatergang kennzeichnet.
Und wenn man eine Stück über die Antarktis macht muss auch die Frage nach dem CO2 Wert gestellt werden dürfen. Wie viel „Manpower“, Stahl, Presserummel mit schmelzendem Eisberg vorm Theater, Produktionskosten, Schauspielerbelastung rechtfertigen es ca. 30 Besucher pro Vorstellung herein zu lassen. Ich befürchte man muss eine Menge ideologischer Argumente formulieren um den Aufwand zu rechtfertigen. Dabei ist der Gedanke Theater mit Wissenschaft zu verbinden doch lobenswert. Oder? Oder hat es nicht doch ein Geschmäckle, als wenn Wissenschaft so langweilig ist, dass man es mit Theater oder sonst was verbinden muss; oder Theater ist so langweilig, dass es mit kruden Ideen und skurrilen Orten reanimiert werden muss. Also ist Theater Tod, oder riecht es nur merkwürdig muffig und einfallslos?
Im Stadttheater Bremerhaven hat man einen Trick gefunden immer ausverkaufte Vorstellungen zu haben. Auf der Hinterbühne im 680-Sitze-Haus können bei Verbrennungen nur 200 Gäste Platz nehmen. Im Magazin sind es nur noch 30. Selbst im Kleinen Haus können über 100 Gäste sitzen. Da liegt es doch nah darüber nachzudenken den Zuschuss für´s Schauspiel auf 30% zu kürzen. Eine andere Provokation wäre die Forderung Theater so interessant zu machen, dass mehr Leute Eintrittskarten kaufen.
Mein Urteil für Eistau lautet: Überambitioniert. Es gab einige Stellen die waren sehr interessant und ich habe mich auch unterhalten gefühlt. Aber das Verhältnis Aufwand zu Spiel hat dekadente Züge. Das Kapital welches am wenigsten genutzt schien waren die Schauspieler. Es gab zwei, drei Momente in denen nicht nur Text vermittelt wurde, an denen so etwas wie eine kleine Szene zustande kam. Z.B. Die Walforscherin Beate Franzen ist betrunken und findet ihren Zettel nicht von dem sie abzulesen hat, anschließend eine kleine Kettenreaktion interagierender Schauspieler. In diesen kleinen Momenten sieht man, dass die Schauspieler Menschen sind die ein Handwerk gelernt haben mit dem sie die Zuschauer in eine andere Welt mitnehmen können. Das sind die Momente echten Erlebens. Doch dieses Potential, kostenmäßig etwas teurer als die Garderobieren, liegt brach und wird bestenfalls wie ein dynamisierender Gag in der einen oder anderen Inszenierung mit eingestreut. Vielleicht aus dem Grund um das Publikum wieder aufzuwecken? Es fällt schwer zu glauben, dass Jugendliches und junges Erwachsenen Nachwuchspublikum mit solchen intellektuellen Höhenflügen der Gang ins Theater schmackhaft gemacht werden kann. Es hat den „touch“ von elitär, in einer Arbeiterstadt mit hoher Arbeitslosigkeit und auswucherndem Prekariat, sogar deplatziert.
Es ist eine Uraufführung. Der Text ist sprachlich nicht besonders ausgefeilt. Ein dramaturgischer Verlauf ist auf das allernötigste reduziert. Wissenschaftliche Fakten stehen isoliert und geben Rätsel auf. Die eingefügten wissenschaftlichen Vorträge vermitteln mehr Informationen die man sich leicht merken kann. Und vielleicht sollte eine Vortragsreihe im AWI, dem Kooperationspartner der Inszenierung, eingesetzt werden, den die haben Lust auf mehr gemacht. Der Theatertext wirft eine Menge Zweifel auf die nicht geklärt werden und dem Zuschauen im Weg stehen: Was hat es mit „Fury Island“ auf sich? Oder mit „Mount Misery“, „Rußalbatros“, „Dan Quentin“, und dann fragt man sich ob es die „MS Hansen“ wirklich gab oder ob es wichtig ist das zu wissen. Es ist leicht sich nicht so sehr auf das gesprochene Wort zu verlassen weil ja noch eine Menge Bühnenbild vorhanden ist mit dem man sich ablenken kann und manchmal auch muss.
Wenn das Stück nicht zu viel Kreativkräfte bindet wird es wohl noch viele Male gespielt, bestimmt noch eine weitere Spielzeit. Denn mit 30 Plätzen ist es schnell ausverkauft. Und wer gerne Mal durch den Mief abgespielter Stücke stochern und wirklich gute Schauspieler zum anfassen nah erleben möchte, dem sei dieses Stück besonders empfohlen.

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