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Dienstag, 9. Juli 2013

Wo steht das Freie Theater heute?




(Bremerhaven) Aus Protest und Enttäuschung haben vor mehr als zwei Jahrzehnten viele Theaterschaffende den staatlichen Bühnen den Rücken gekehrt um in eigener Regie Theater zu machen. Völlig auf sich gestellt haben diese kreativen Menschen die Theaterlandschaft neu geformt, vielseitig ausgestaltet und mit zahllosen Innovationen auf einen Stand gebracht, dass heute die staatlichen Theater sich gerne dort inspirieren um ihr Publikum zu erreichen. Der transcript Verlag aus Bielefeld legt eine Rückschau über die Entwicklung der Freien Theater vor: Herausgegeben von Eckhard Mittelstädt und Alexander Pinto - Die Freien Darstellenden Künste in Deutschland Diskurse, Entwicklungen, Perspektiven ISBN 978-3-8376-1853-2 zum Preis von 29,80€.
Die 22 Autoren berichten mit sachlicher Klarheit leidenschaftlich über die Entstehung der Freien Theater und deren Entwicklung. Dabei wird deutlich, die Kreativen in der Freien Szene sind mehr als Künstler. Sie sind die Verwaltungsangestellten, Manager, Bühnenbauer/Handwerker, Werbefachleute, Kulturwissenschaftler, Pädagogen, Netzwerker, Vereinsgründer und nicht zuletzt Kulturpolitiker. Oft findet man die vielen Qualifikationen in gehäufter Mehrfachnennung in einer Person. Allrounder! Aus der Not vor keinem noch so abwegigen Job versagend, haben sie alle Aufgaben erledigt um die Darstellende Kunst, ihre Berufung, zu erfüllen. Die einzelnen Beiträge zeugen von einer reifen Kritik und Selbstkritik. Nannten sie sich zu Beginn Freies Theater weil sie sich aus Zwängen befreiten, so sind sie heute in mannigfachen Umständen immer noch gefangen. Sei es dass sie nur 30% ihrer Arbeit für die Kunst einsetzen, oder dass sie selbstausbeuterisch den sozialen Stand des Prekariats geprägt haben; sie denken sogar darüber nach das Attribut „Frei“ aus dem Namen zu entfernen.  
Die einzelnen Beiträge sind gegliedert in: A. Die Freie Darstellende Kunst im gesellschaftlichen Diskurs, B. Das Freie Theater auf dem Weg, C. 20 Jahre Freie Darstellende Künste - Ein Blick auf die Genres, D. Das Freie Theater und seine Strukturen. Ergänzt wird es durch einen umfangreichen Serviceteil mit weiterführenden Literaturhinweisen und Webadressen, so wie kurze Darstellungen der Autoren.
Im Teil C. Genres bekommt man eine Vorstellung von der Vielseitigkeit der Freien Szene. Kinder- und Jugendtheater, Tanz, Puppentheater, experimentelles Theater, Sprechtheater, Musiktheater, Dokumentarisches Theater und die diversen Zwischen- und Übergangsformen. Die verschiedenen Herangehensweisen sprengen die Klassifizierungen. Vor allem weil seit einigen Jahren intensive und grenzüberschreitend nach neuen Ausdrucksformen geforscht wird. Die Einzelkämpfer der ersten Jahre haben sich über Vereinsstrukturen und Interessengemeinschaften Schritt für Schritt organisiert. Aus den Landesverbänden entstand ein Bundesverband der mit unermüdlicher Hingabe erreichte, dass die Freien Theater auch kulturpolitisches Gehör erlangten. Ein großer Raum ist der Förderung gewidmet, deren Struktur und Schwierigkeiten so wie Vorschläge zur Verbesserung.
Ich empfehle dieses Buch nicht nur für die vielen kreativen Menschen im Theater. Es ist auch lesenswert für alle politischen Entscheider und leidenschaftlichen Theatergänger. Transparenz, Offenheit und Beteiligung sind die Schlagwörter mit denen die Freien Theater ihren mutigen Beitrag in die kulturelle Gemeinschaft geben. Das geht uns alle an.