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Dienstag, 5. August 2014

„BILDUNG FÜR RITA“ oder „Ich hatte eine Wahl. Und ich habe mich gewählt.“

Von Hilke Leu
Rita und Frank im Dialog mit Literatur
(Stotel) An einem sommerlichen Sonntagabend füllt sich zur besten bundesrepublikanischen „Crime-Time“ das „Sommer-Theater“ in der Alten Schule in Stotel. Mehr und mehr Zuschauer betreten die ehemalige Schulaula, suchen sich einen Platz und werfen einen Blick auf das Bühnenbild.  Da alsbald entspanntes Gemurmel den Raum füllt, liegt der Schluss nahe, dass ihnen das, was sie dort sehen, vertraut scheint: ein gemütliches Sofa zum Lümmeln und Lesen, ein Tisch zum Schreiben und konzentrierten Arbeiten, etwas Kunst an der Wand und: sta-pel-wei-se Bücher.
Hier begegnen wir Frank, Professor im besten Alter, der die bittere Erkenntnis, doch nicht zum glamourösen Dichter zu taugen, mit Whiskey hinunter zu spülen versucht und vor sich hin grummelnd auf den nächsten Studenten wartet, der ihn seine Brötchen in der Erwachsenenbildung verdienen lässt.
Und dann kommt er, nein: sie, nämlich Rita! Sie betritt nicht nur die Bühne, pardon:  den Raum, sie füllt ihn sofort aus, mit innerer wie äußerer Bewegung, mit Unmengen dahergeplapperter Fragen. Mit ihrem Anspruch: „Na, weil ich es doch wissen will!“ „Was?“ „Alles!“
Friedo Stucke als Frank
Frank scheint zunächst hilflos im Umgang mit so viel Energie und mit einer Gedanken- und Alltagswelt, mit der er offensichtlich bislang wenig Kontakt hatte. Und so tastet er sich heran - an Rita und ihr Leben. Gemeinsam begegnen wir nun einer überaus lebendigen 26-Jährigen, die keineswegs stutzt, dass man sie „Friseuse“ nennt, die im Frisiersalon auf sogenannte „gebildete Menschen“ trifft, die sie hasst, und der bereits in der Schulzeit klar war, dass sie, hätte sie schon damals mehr wissen wollen, aus dem gewohnten Rahmen hätte ausbrechen müssen.
Und dann staunt der Zuschauer. Rita plappert nämlich keineswegs nur so dahin. Es sprudelt, es sprudelt all das aus ihr heraus, das sie, bislang auf sich allein gestellt, in ihrem Kopf und Herzen bewegt hat. Sie hinterfragt die „Qualitäten des Lebens“ und dass es da „so viel Ablenkendes“ gäbe. Sie überrascht uns mit der Erkenntnis (oder hält uns den Spiegel vor?), dass sich all “die Frauen, die zum Friseur gehen, verändern wollen. Aber wenn man sich verändern will, muss man das ja von innen tun!“. Sie charakterisiert Lehrer als „Pauker, die aus Reden flugs Unterricht machen.“ Und sie fragt: „Wo ist der Sinn, wenn Haus, Essen und Trinken da sind?“
Da wir aber in einen Kurs für Erwachsenenbildung schauen, begleiten wir Rita zunächst auf ihrem Weg in der Auseinandersetzung mit Aufgabenstellungen wie „Objektivität“, „Disziplin“,  „Verbindungen schaffen“ oder auch der Aufforderung „Ritus, Rita!“. Dass Frank ihr nahelegt: „Sie müssen Ihre Ursprünglichkeit abstellen, Rita!“, hinterfragt der Zuschauer aber bereits in eben diesem Augenblick. Denn man spürt alsbald, dass Rita Frank eines voraus hat: das reale Leben.
Annika Stöver als Rita
Ihre Kenntnis der Welt bringt sie ein in die zu erstellenden Aufsätze, in die Gespräche rund um die Sommerseminare, in ihre Gegenfragen an „fadenscheinig, Zeug labernde“ Studenten.
Und den Zuschauer verwundert es mittlerweile keineswegs mehr, dass Rita an Franks Schreibtisch sitzt. Passt sie da nicht eigentlich schon die ganze Zeit hin?
Und doch fremdelt sie. Sie fremdelt mit dieser anderen Welt, jener Welt, in der Bildung so selbstverständlich scheint und Bücher nicht gleich Bücher, sondern Literatur sind. Sie fühlt sich als „Halbblut“, „im Niemandsland“ und traut sich nicht, welch´ schöne Metapher!, der Einladung in das Haus zu folgen, in der die Belesenen, scheinbar Wissenden um den hell erleuchteten Tisch sitzen.
Aber Rita geht. Ihren Weg. Wohin? Lassen wir Rita sprechen:
„Ich hatte eine Wahl. Und ich habe mich gewählt!“
Willy Russels Komödie ist brandaktuell und bittersüß. Und sie gehört als Diskussionsstoff in die bzw. vor die Schulklassen. Und dies bitte in dieser Besetzung : Annika Stöver als Rita und Friedo Stucke als Frank! Ihre Dialoge und ihr Spiel fliegen in einer Leichtigkeit und Authentizität durch den Raum, dass sich der Zuschauer nah dran und mittendrin fühlt.  Lachen und Nachdenklichkeit werden von den beiden Schauspielern provoziert wie aufgefangen. Nichts, aber auch gar nichts von diesen würzigen Dialogen möchte man verpassen. Und so wird jede Minute dieses Abends kostbar, stundenlang.
Ach, und zum Schluss noch eins … „Kritik, Rita, ist nie subjektiv!“, sagt zumindest Frank. Nun ja …
Ich sage: Danke! Und empfehle:

Man kann die 53. Ausgabe von GEO Wissen lesen („Was gibt dem Leben Sinn“). Man kann aber auch ins Theater gehen. Gehen Sie ins Theater! Haben Sie in „Bildung für Rita“ ihre eigene „Affäre mit Bildung“. Sie dürfen sich wiedererkennen oder auch wieder erkennen.

Nächste Vorstellung ist in Stotel am 11.Oktober 2014 um 20:00. Hier geht es zu den Tickets

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