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Montag, 24. November 2014

Fische und Landschaften im Künstlerhaus Cuxhaven

(Cuxhaven) Vor dem Schloss Ritzebüttel wird der Weihnachtsmarkt aufgebaut. Buden werden zusammen gezimmert, dutzende Kübel sind mit festlich roter Plastikfolie umwickelt, und Berge von Rindenmulch werden um die Buden herum verteilt. Ich zwänge mich an den Lastwagen vorbei, steige über Kabel und Wasserschläuche um ins Künstlerhaus zu gelangen. Das Künstlerhaus beherbergt im Erdgeschoss die Tourist-Info. Im Obergeschoss sind mehrere Räume die als Wohnung und Atelier für KünstlerInnen vorgesehen sind. Seit September sind Beatrice Richter und Anja Warzecha in den Ateliers am arbeiten. Die Cuxhavener Bürger hatten schon am ersten November Wochenende die Gelegenheit bei einem Rundgang die Künstlerinnen kennenzulernen. Im Dezember endet ihr Aufenthalt im Künstlerhaus mit einer Ausstellung vom 7. 12. bis zum 13. 12.
Beatrice Richter, geboren in Recklinghausen, studiert seit 2010 an der Kunstakademie in Düsseldorf. Im nächsten Jahr kann sie dort ihre Studien abschließen. Derzeit arbeitet sie mit Herbert Brandl, von dessen passionierte Art sie respektvoll spricht. Richter ist eine konkrete, junge Frau die mit ihrer Arbeit verwachsen ist. Ihr Atelier ist mit Folie am Boden ausgelegt, weil es zur Sache geht wenn sie mit Tusche ganze Stapel von Drucken anfertigt. „Es muss schnell gehen“ sagt sie. Und das bezieht sie nicht nur auf die Umstände die das Material von ihr verlangt, es trifft auch auf ihre hingebungsvolle, konzentrierte Arbeitsweise zu. Bei 13 Ausstellungsbeteiligungen in drei Studienjahren kann man wohl von einer umtriebigen Künstlerin sprechen.
Beatrice Richter - Tusche Papier Grafit
Obwohl sie sich als ein Großstadtmensch bezeichnet, ist sie froh hier in Cuxhaven zu sein. In Düsseldorf und im Studierbetrieb wird man von vielen Dingen abgelenkt, sagt sie. Ihr Terminkalender ist schnell gefüllt mit interessanten Ausstellungseröffnungen. Und in der Akademie gibt es auch viele Gelegenheiten die einer intensiven Arbeit entgegenlaufen. Im Künstlerhaus arbeitet sie jetzt mit Anja Warzecha von 8:00 morgens bis 23:00 in der Nacht. Beiden gefällt es von allem alltäglichen abgeschieden zu sein und sich ganz und gar in die Arbeit zu vertiefen. Wenn man sich stunden- ja tagelang mit der Sache beschäftigt, kommt man an ganz andere Grenzen und überschreitet sie. Beide sagen, dass diese intensive Zeit eine Wandlung in ihrem Schaffen ermöglicht hat.
Beatrice Richter, die zuerst mit großen Leinwandformaten begann, wechselte schon bald auf eine andere Technik die sie in Düsseldorf zwar schon mal begonnen hatte, aber noch nicht ausgereift praktizierte. Es handelt sich dabei um „Tuschedrucke“ die sie mit Grafitstifte weiter bearbeitet. Sie begann mit
Beatrice Richter - Detail (Tusche Papier Grafit)
kleinen Formaten, ca. 20/20cm, später folgten dann 50/50, 70/70 und es sollen noch 100/100cm dazu kommen. Sie bringt die flüssige Tusche auf ein Blatt und nimmt mit einem weiteren Blatt einen Abdruck davon. In dieser Weise druckt sie ganze Serien bis zu 50 Expl. Nachdem die Blätter getrocknet sind, geht sie mit dem Grafitstift hinein und schafft kontrastierende nahezu lasierende Flächen. Durch diese Kontraste beginnt die Farbigkeit der Tusche kräftiger zu leuchten. Die Motive mögen für den fantasiereichen Betrachter etwas fischiges haben, vielleicht auch mal einem Vogel ähnlich sein. Man glaubt Gräten, Gerippe, Flossen und Augen zu erkennen. Jedenfalls gibt es viel zu entdecken in den Bildern. Einige Bilder haben etwas so haptisches oder auch Geruch intensives, dass man ins Zweifeln gerät; der fish & ships Frittenbudengeruch kommt entweder von der Strasse oder beruht auf Imagination die vom Bild ausgeht.
Sowohl Beatrice Richter als auch Anja Warzecha beschreiben den Aufenthalt seit September als eine wertvolle Zeit für ihre Kunst. Warzecha ist in Bochum geboren und kommt aus Halle in die Hafenstadt. Sie hat im Januar ihr Diplom erhalten und steht nun im brotlosen Künstlerleben. Teil der Selbstständigkeit ist es sich immer umzuschauen wo man Förderungen bekommt, an welchen Projekten man beteiligt werden kann (oder welche man selbst initiiert), wo man Aufträge bekommt, Ausstellungen-Galerien-Ausstellungen-Galerie… Anja Warzecha verbringt mindestens zwei Tage pro Woche mit Marketing Angelegenheiten. In erster Linie ist Künstler ein Beruf wie jeder andere. Ob man am Fließband steht, an der Supermarktkasse sitzt oder Kunstwerke schafft, ist für sie mehr oder weniger eine Kategorie. Es ist ein Markt der gefunden und erfüllt werden muss. Diese, in gewisser Weise bodenständige Betrachtung (oder Entmystifizierung) hindert sie aber nicht daran, mehr als nur eine das Handwerk-beherrschende-Künstlerin zu sein. Ihre Bilder geben den Eindruck, als würde sie sehr mutig versuchen weit über die Grenzen zu gehen, bereit mit dem möglichen Scheitern Hand in Hand ins nichts zu laufen. Ihre Arbeiten fordern Respekt, hält sie doch die äußerst schwierige Waage zwischen intuitiv in neue Gestade aufzubrechen und den Weg dahin mit klarer nachvollziehbarer Struktur zu pflastern.
Anja Warzecha - versch. Farben auf Leinwand
Auch Warzecha hat mit kleinen Formaten begonnen. Sie arbeitet auf Rahmen und Leinwand, welche sie komplett selber herstellt. Dadurch kann sie die Formate genau so wählen wie sie sie haben will. Ihre Arbeitsweise ist als würde man einen Satz schreiben, bei dem man nicht den Inhalt kennt. Man fügt Wort an Wort bis das gesamte grammatische Gebilde eine sinnvolle Einheit bildet. „Das Idealbild wäre von 0 auf 100, ohne dass man etwas zurücknimmt oder übermalt“sagt sie. Doch sie beginnt mit etwas wie einen ersten Impuls der die alle Möglichkeiten in sich bergende weisse Fläche der Leinwand durchbricht, und beginnt dann durch hinzufügen und überdecken von Strukturen und Flächen etwas entstehen zu lassen. Sie plant nicht das Bild und malt es dann, sondern tastet sich Schicht um Schicht an etwas heran. Dabei wirken die Motive als würden mehrere Zeit- Erinnerungs- und Abbildungsebenen übereinander, nebeneinander und durcheinander verwoben. Was ich hier mit spröden, vielleicht sogar umständlichen, Umschreibungen in Worte zu fassen versuche, entspringt einer sehr komplexen oder/und klaren Bildvielfalt.
Anja Warzecha hat von 2008 bis 2014 in Halle bei Prof. Ute Pleuger studiert. 2012 machte sie ein Auslandssemester in Kathmandu (Nepal). Sie wurde bereits mit vier Stipendien ausgezeichnet und hat allein in diesem Jahr auf vier Ausstellungen ausgestellt. Neben der Malerei arbeitet sie auch mit Installationen die z.B. Teil ihrer Diplomarbeit waren.

Die große Anzahl der seit September entstandenen Arbeiten von Beatrice Richter und Anja Warzecha werden vom 07.12.2014 bis 13.12.2014 in den Atelierräumen im Künstlerhaus über der Tourist-Info am Schloss Ritzebüttel zu sehen sein. Es lohnt sich den Weihnachtsmarkt für einige Momente den Rücken zu kehren, um sich mit diesen beiden Künstlerinnen zu beschäftigen.

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