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Freitag, 23. Januar 2015

Secret Signs - Sammlung Falckenberg

Ai Weiwei - Divine Diatribe
(Hamburg) Für die westlichen Kulturen sind es rätselhafte Strichbildchen. Und aus dieser Perspektive kann man sie nur schwerlich als Schrift bezeichnen. Die einzelnen Zeichen sind keine Buchstaben, sondern Silben. Es ist auch keine Alphabet im übertragenden Sinne mit ca. 30 Zeichen, sondern viele Hundert kleine symbolisch aufgeladenen Bilder. Dazu kommt, dass man durch die Aussprache mit geringen tonalen Variationen zu unterschiedlichen Bedeutungen bringen kann. In den 3000 Jahren, seit dem dieses Schriftsystem besteht, hat es eine stete Entwicklung gegeben und sie ist doch im Grunde gleich geblieben. Man denke nur an die Kalligrafie, in der einzelne Schriftzeichen zu vollendeten Kompositionen werden, die Schrift, Malerei, und Aussage in einer dynamischen Harmonie vereinen. Die Schrift in der künstlerischen Form erstreckt sich über alle Komponenten: Papier, Tusche, Pinsel, Haltung, Reinheit im Geist, Perfektion, Leichtigkeit, Dynamik, Ökonomie, und vereint diese zu einer Einheit von Raum und Zeit.

Seit der Zeit Mao Zedong bekam die Schrift eine populäre Note, indem sie zu einer Waffe und einem Mittel der Propaganda wurde. In der Kulturrevolution von 1966-76 erlebte die öffentliche Kalligrafie ihren Höhepunkt in Form der großen Zeichen-Poster. Die künstlerische Avantgarde Bewegung der 1980er Jahre wollte sich radikal von allen akademischen Bürden und Vorgaben des Sozialistischen Realismus befreien. Seit dem befasst sich die zeitgenössische chinesische Kunst facettenreich mit der Dekonstruktion von Schrift (Anti-Kalligrafie), der Kommerzialisierung und Trivialisierung der Schrift als Medium der Massenkultur sowie mit der Frage nach dem individuellen Ausdruck angesichts der reichen und langen historischen Praxis für das Erlernen der Schriftkunst.

Auf ein Sandkorn geschrieben


Zhang Wei - Imitating Qi Baishi

Von Zhang Wei ist neben vier abstrakten Arbeiten, bei denen er verschiedene dick- und dünnflüssige Farben gemalt, geschüttet und gespritzt hat, ein gegenständliches Bild ausgestellt. „Imitating Qi Baishi“ ist dem Titel nach eine Hommage an Chinas berühmtesten Maler der letzten zwei Jahrhunderte, bei der Wei die Arbeit dessen typischen Motive persifliert: So scheint die abgebildete Schale statt traditioneller Kirschblüten Kussmünder aufzusammeln.


Lu Hao - A Grain of Sand
Zu den aussergewöhnlichen Werken zählt A Grain of Sand von Lu Hao. Mit Tusche ist auf einem Sandkorn der folgende Text geschrieben: „Hu X, männlich, Bauer aus dem Dorf X bei der Stadt Danyang in der Provinz Hubei, in den 50er Jahren geboren, Unterstufe der Mittelschule beendet. Im Alter von 17 Jahren verließ er seine Heimat, um auswärts zu arbeiten. Es verschlug ihn nacheinander nach Fuzhou, Wuhan, Beijing und an viele andere Orte. Das Geld, das er mit seiner Arbeit verdiente, war eine wichtige Einnahmequelle für seine Familie. Die wirtschaftlichen Verhältnisse daheim waren mittelmäßig, es gab nur neun mu ertragsarmes Land. Er hatte drei Töchter, die älteste ist verheiratet und hat ein Kind, die jüngste geht noch zur Schule. 2003 arbeitete Hu X das ganze Jahr hindurch. Weil der Chef unaufrichtig war und den Lohn schuldig blieb, hat er für ein Jahr harte Arbeit nicht das Geringste erhalten.“

Mao Tongqiang - Archives
In der Rauminstallation „Archives“ (2011-12) zeigt Mao Tongqiang mit über 1800 Dokumenten den Wandel der Lebensumstände in China von der Gründung der Volksrepublik bis zum Ende der Kulturrevolution. Wie in einem Archiv sind private Briefe, Aufzeichnungen und andere Dokumente sorgfältig aufbereitet. Die Ordnung der Schriften stehen im Gegensatz zu den politischen und sozialen Umwälzungen, von deren Eingriffe in das Leben der Bevölkerung es erzählt.

Seit 2009 ist der Blog von Ai Weiwei von den chinesischen Behörden aufgrund seiner sensiblen Inhalte verboten worden. In seiner eigens für diese Ausstellung gestalteten Installation „Divine Diatribe“, hat Weiwei Schriftzeichen aus 478 verschiedenen Schriftstücken von 216 der historisch bedeutendsten Kalligrafen aus dem alten China verwendet. Jedes Schriftzeichen wurde zufällig aus alten Texten ausgewählt und in die Worte aus Ai Weiweis Blog umgesetzt. Durch die farbliche Gestaltung der Hintergründe bezogen auf die alten Schriftstücke ist kein Zeichen doppelt vorhanden. Diese Installation deutet auf die 5000 jährige Geschichte der chinesischen Kalligrafie als eine höchst traditionelle Kunstform.

Die Ausstellung, eine Kooperation der Deichtorhallen mit der Sammlung Sigg und dem M+, Hongkong, bietet einen Überblick über die chinesische Avantgardekunst von den 1980er Jahren bis in die Gegenwart. Präsentiert werden 110 Werke von 38 chinesischen Künstlern. Ob es nun Xu Bing, mit dem Book from the Sky ist, in dem mit Tausenden erfundenen, nicht lesbaren Schriftzeichen Seite um Seite gefüllt ist, oder die sog. weißen Bilder von Qui Shihua, auf denen das ursprüngliche Motiv hinter einem Schleier weißer Ölfarbe verschwindet, oder Video-Installationen, Schriftrollen; es ist eine vielschichtige Sammlung hochinteressanter Arbeiten. Man muss schon einige lohnenswerte Stunden einplanen, um sich mit den Arbeiten hinlänglich zu beschäftigen. Die Ausstellung ist noch bis zum 8. Februar geöffnet. Zu beachten sind die gesonderten Öffnungszeiten. SIEHE INFOS

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