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Dienstag, 16. Mai 2017

Wer hat das Recht zu…

© Wömpner, Ensemble
(Hannover) Wenn man geschickt die Prosa um den 600 Seiten schweren Roman Schuld und Sühne von Fjodor M. Dostojewski wegschneidet, kommt man zu einer eindringlichen dramaturgischen Fassung. Versteht man es dann noch die Handlung mit der heutigen Zeit zu verknüpfen, dann ist man bei „Raskolnikow - humanity is overrated“, derzeit im Theater an der Glocksee, angelangt.

Ein riesiger Kokon steht auf der ansonsten aufgeräumten Bühne. Hinten rechts ist noch eine Tür und eine Bar, vorn links eine Stelle für??? , ansonsten nur noch wenige Stühle oder Hocker oder Podeste. Der Kokon weis, der Rest dunkel bis schwarz. (Bühne von Britta Bremer) Polarisiertes Denken! Die Sicht des Protagonisten. Amokläufer/Attentäter haben etwas gemeinsames, sie haben sich von der Welt isoliert, zurückgezogen, eine Position gegen ihr Umfeld eingenommen. Dieser Raskolnikow (Jonas Vietzke) ist still, arm, ohne Idee für eine sinnvolle Beschäftigung in der Welt in der er sich wähnt. Er beschließt einen Mord zu begehen, um etwas aus der Welt zu nehmen, das es nicht verdient in ihr zu sein. Und da ist auch die große Frage: Wer entscheidet was gut und wert ist - und was nicht. Albert Einstein sagte „Probleme könnten niemals mit derselben Denkweise gelöst werden, durch die sie entstanden sind.“ Die duale Denkweise von gut und böse wird ein Einzelner kaum lösen wenn er allein in Diskussion mit sich selber steht. Die Ideologie, in der sich Raskolnikow verliert, findet ihre Entsprechungen in vielen anderen Denkweisen aktueller Attentäter. Und das ist auch das besondere an dieser Inszenierung unter der künstlerischen Leitung von Lena Kußmann. Vergleiche mit Pamphleten anderer Attentäter werden zitiert. Situationen in denen sich jeder wieder finden könnte, zeigen das Potential wie eng wir jederzeit betroffen sein könnten. Ist eine Einteilung in gewöhnliche und außergewöhnliche Menschen, wie Raskolikow sie vornimmt, sinnvoll oder gerechtfertigt? Es steht die Frage im Raum, ob Menschlichkeit wirklich überbewertet ist, wie ein Attentäter einmal behauptete. Oder behaupten das auch noch andere Zeitgenossen?!

Das ist starker Tobak den man jedoch mit einer Prise schwarzen Humor, der hier von Lena Kußmann mit feiner Hand ins Stück geschrieben wurde, gut nehmen kann. Durch die Fülle von einzelnen Situationen, Metaphern und eindringlichen Bildern am erzählerischen Faden, der der Chronologie des Romans treu bleibt, spielt das weitere Ensemble mit Achmed Ole Bielfeldt und Rebecca Junghans dicht und dynamisch zu einem harmonischen Ganzen, dass man die 100 Minuten ohne Pause gespannt durchlebt. Es ist eine Freude die ökonomische und reich mit kleine Details gespickten Inszenierung zu verfolgen. Das ist junges lebendiges Theater für intelligente Menschen, die aus dem kleinen das größere Ganze erfassen und selber ins Denken kommen um ihre eigenen Schlüsse zu finden.

Mein Tipp: keine Scheu vor ernstem Thema - hingehen.
Weitere Vorstellungen am 17., 19., 24. und 26. Mai 2017 Beginn jeweils um 20:00. Theater an der Glocksee