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Montag, 16. April 2012

Carmina Burana Ballett von Sergei Vanaev

(Bremerhaven) Im Stadttheater Bremerhaven werden derzeit die Carmina Burana mit der Musik von Carl Orff, vier Chören der Stadt und in der Choreographie von Sergei Vanaev gezeigt. Das ausverkaufte Große Haus zollte die Darbietung mit langem Applaus.
Unbedingt außergewöhnlich zu sein ist offensichtlich das Motto im Stadttheater Bremerhaven. Und es ist wieder gelungen die Grenzen zu sprengen. Auf der Bühne ist ein Stahlgerüst über drei Etagen im Halbrund aufgebaut. Auf diesem Gerüst sind der Opernchor des Stadttheaters, der Chor der Evangelischen Stadtkantorei der Chrituskirche und der Bach-Chor Bremerhaven platziert. Für einzelne Auftritte kommt noch der Kinderchor des Stadttheaters hinzu. Die Wucht der Stimmen ist auch unbedingt von Nöten um in angemessener Lautstärke aus dem Bühnenhintergrund heraus zu schallen. Bei der öffentlichen Probe, ca. 10 Tage vor der Premiere, konnte man miterleben wie aufwändig es ist die Sängermassen mit dem Orchester und dem Ballett in Harmonie zu bringen.  Musikalisch ist das recht gut gelungen. Man kann den theaterfernen Chören zu Gute halten, dass ihnen die Bühnenrealität in einer Theaterinszenierung nicht geläufig ist. Schade, den gerade zu Beginn wenn Kai Braithwaite in seinem Solo zur Erzählerstimme von Martin Bringmann eine getragene und andächtige Stimmung über die Rampe schickt, wuseln die Chöre noch unruhig herum und stören das Bild.
Mit den Carmina Burana hat Sergei Vanaev Musik und Gesänge gefunden die recht nah an die ehr sperrige Körpersprache seiner Choreografien heran kommen. Vanaev pflegt einen Stil den man vielleicht eine Antiästhetik nennen könnte. Die Tänzer zeigen nur ein geringes Spektrum rhythmischer Vielfalt. Dynamik, die harmonisch mit der Musik geht, erwartet man vergebens. Das Tanztempo ist durchgehend schnell und vermeidet jeden Erzählcharakter. Neben viel sportlich anmutender Akrobatik, woran man sieht zu was die Tänzer fähig sind, werden hin und wieder einige Bilder eingestreut, die isoliert im Raum stehen. Einzeln recht nett anzuschauen, ohne dass man sie recht in Verbindung bringen kann mit der Musik und dem Gesang. Der Stil Vanaevs ist so ausgeprägt dass sich mir immer wieder Vergleiche aufdrängen zu den Choreografien der vorigen Stücke: „Giselle“ und „Nussknacker“. Vanaev zeigt uns wie beweglich ein menschlicher Körper sein kann, dies auf so abstrakte Art, dass die Körper an Menschlichkeit verlieren; Ausdruck initiiert durch eine natürliche Regung oder durch ein seelisches Begehren/Erleiden. Doch dieser menschliche „Aspekt“ – menschlich = fehlerhaft – taucht dann in künstlicher Form auf, in dem die getanzten Bewegungen oftmals unpräzise enden, eine Figur zu Ende gestolpert wird, synchrone Abläufe ansynchron ablaufen. Die Tänzer wirken immer klein, füllen nicht die Szene aus. Die Zuschauer werden zurückgelassen mit einer sportlichen Leistung ohne einen Kunstgenuss der im Theater zu erwarten ist: Kommunikation! Man muss diesen Stil schon mögen. Es ist ein Auflockerungsstil bei dem der Ausdruck Nebensache ist.
Zwei Tänzer haben diesen Stil so nicht erfüllt. Sie tanzen die Figuren mit der menschlichen Seele. Kai  Braithwaite und Leticia Forattini Martins legen den menschlichen Kern, die Seele, nicht ab. Es ist ein feiner und durchdringender Unterschied. Es ist die Dynamik der Bewegungen, vor allem am Beginn und Ende einer Figur. Es sind die Blicke mit denen sie real etwas anschauen und auch sehen. Es ist die Verbindung von Mensch und seiner Aufgabe, von Persönlichkeit die etwas mitzuteilen hat in der Handlung die ein anderer ersann. Man muss nicht verstehen was sie für Bilder/Figuren tanzen; man tanzt vom Zuschauersessel aus in ihrem Atem mit.
Das Monument aus Stahl um die Chöre aufzunehmen ist eine schlichte Ausführung einer Bühnenorganisation. Schlicht in der Ansicht – nicht in der Herstellung. Die Szenerie ist mit viel Geschmack ausgeleuchtet. Hinter den Chören, die in schwarzen Mönchskutten stehen, wechseln Farbstreifen von rot zu blau zu hell. Mal tauchen die Tänze in kaltem weißblau oder warmen goldgelb ein. Die Beleuchtung ist stets zurückhaltend, das gesamte Geschehen steht im Vordergrund der Wahrnehmung. So entsteht zumindest visuell eine Harmonie von Bühne, Chöre und Ballett. 
Was bleibt in Erinnerung wenn die Vorstellung vorbei ist? Welche Bilder und Gefühlsregungen nehmen wir mit in den Alltag und können uns noch Tage später daran erfreuen? Sollte ein künstlerisches Werk das von ca. 250 Akteuren dargeboten wird nicht so beeindruckend sein, dass wir noch Jahre später davon zehren? 
Der Unterhaltungs-Charakter ist für meinen Geschmack zu hoch gehoben. Ein bisschen mehr künstlerisches Risiko und Respekt vor dem eigenem Können sollte man schon einfordern als Publikum. Es mangelt an Tiefgang, und es mangelt an Leidenschaft auf beiden Seiten der Rampe. Wenn Theater und Sport über einen Leisten gemessen werden, dann ist die darstellende Kunst am Ende. Dann ist die Kultur auf dem dekadenten Höchststand angekommen und reif für den Zusammenbruch.
Die nächsten Vorstellungen gibt es am 22. und 25.04.2012 und weitere im Mai.

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