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Samstag, 27. Dezember 2014

„Honka“ - Ein Hauch von „Chicago“

© by Marcus Renner
(Hamburg) Wenn man vom Musical „Chicago“, Regie Rob Marshall 2005, den Hollywoodglitter abklopft und die Tanzeinlagen streicht, dann ist man in etwa beim Mordsspektakel mit Musik von Eva Engelbach und Marcel Weinand: Honka - Frauenmörder von Altona. Das soll keineswegs eine Abwertung sein. Im Gegenteil, die beiden haben hier einen für das norddeutsche Gemüt treffenden Stil gefunden, der dem Kabarett sehr nahe kommt. Mit der typischen Hamburger Steifheit und einem trockenen Witz der keine Umschweife kennt, ist es eine schwarze Komödie mit doppelten Böden. Andererseits ist es aber auch eine Revue oder Show, denn es sind einzelne Bilder mit großen Zeitsprüngen. Es ist jedenfalls vielschichtig im Stil und klar in der Kommunikation, was dem musikalischem Einfluss von Eva Engelbach am Piano zu verdanken ist. Sehr schön gestaltet sind auch die Charaktere, besonders durch die individuell ausgefeilten maskenbildnerischen Ideen von Katja Wiggers.

Hamburger Berg der 70er Jahre. Das war eine Zeit in der die Herren, wenn sie besoffen heimzogen, in Hauseingänge pinkelten. In den Kaschemmen bekam man ein halben Liter (Bier) aus der Flasche „serviert“, ein Begriff der dort Niemandem über die Lippen kam. Dafür konnte man sich für 5,00Mark einen blasen lassen, von einer Prostituierten die mindestens genauso besoffen war wie man selbst. In diesem Milieu spielt die Geschichte um Fritz Honka, der Frauenmörder von Ottensen. Erwischt wurde er weil durch ein Zimmerbrand zufällig in einer Abseite seiner Wohnung diverse Körperteile von vier verschiedenen Frauen gefunden wurden. Honka wird überführt, verurteilt und einige Jahre später begnadigt. Es ist vielleicht interessant zu wissen, dass alle Aussagen rein spekulativ sind. Marcel Weinand, der mit Honka den zweiten Teil seiner Trilogie um Serienmörder vorlegt, hat massenweise Zeitungen studiert in denen mehr Tratsch als Nachrichten über den Fall Honka standen. Damit schaffen Engelbach und Weinand ein treffliches Soziogramm der 70er Jahre, und genauso trefflich ist streckenweise die Sprache. Doch dann gibt es auch eine Liedersprache die an Kurt Weill und Bert Brecht erinnert. Dann wiederum kommt eine Ebene von gereimter Kunstsprache, die man aus oben erwähnten Musical „Chicago“ kennt. Die Idee der Gerichtsverhandlung z.B. könnte von da inspiriert sein, aber hier entsteht eine eigenständige Melodie, einen staubtrockenen Dialog mit Witz und Wirkung vorzutragen. Auf diese Weise halten sich die unterschiedlichsten und gegensätzlichsten Ebenen die Waage: Die Betroffenheit, die man mitfühlt, wenn die Prostituierten von ihren Sehnsüchten sprechen. Die derben Ausdrücke die das soziale Umfeld beschreiben. Die bessere Bürgerschicht die mit Verachtung und Ekel über die Tat in den Zeitungen lesen. Oder die von korrumpierter Ethik gefärbte Rechtsprechung; dies alles sind die vielen klar gezeichneten Ebenen die über Spekulation hinaus weisen.


Ich ertappe mich dabei, mich zu fragen, was sich in den letzten vierzig Jahren kulturell alles geändert hat in Bezug auf Hygiene, Bildung, Umgangsformen? Diese Unterschiede werden an dem Abend in dem ausverkauften Haus überaus deutlich. Das Publikum war nicht immer auf die schonungslose Derbheit der Worte gefasst und war auch nicht geneigt bei etwas hintergründigen Gags mitzugehen: Sagt die eine (Prostituierte), von neuen Schuhen bekomme sie immer Blasen. Sagt die andere, bei ihr wäre es anders herum. (Kein Lacher war zu hören.) Vielleicht regte „Honka - Frauenmörder von Altona“ viel mehr zum Nachdenken an als man glauben möchte. Das Publikum bedanke sich für den Abend jedenfalls mit angeregtem Applaus. LICHTHOF THEATER

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