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Sonntag, 3. Mai 2015

Wenn man im Krieg erwachsen wird

Peter Fasching + Justus Ritter © Jörg Landsberg
(Bremen) Ausserhalb vom Spielplan gibt es die Möglichkeit für Nachwuchs am Theater Bremen eigene erste Regiearbeiten zu realisieren. Theresa Welge, die schon über eine umfangreiche Erfahrung als Regieassistentin verfügt, stellt ihre erste Inszenierung am Theater Bremen vor. Mit der Roman Adaption von Ágota Kristóf -Das große Heft, der erste Teil einer Trilogie, hinterlässt Welge einen signifikanten Fussabdruck im Brauhauskeller. Die Tiefe des Raums bietet ihr ein abwechslungsreiches Spiel mit Nähe und Distanz zwischen Publikum und zu erzählender Geschichte. Das Bühnenbild selbst ist der geistige Raum eines großen Heftes, in das die eineiigen Zwillinge ihre Erlebnisse schreiben. Sie wurden von Ihrer Mutter aufs Land zur unfreundlichen Großmutter gebracht, weil in der Stadt Krieg herrscht. Für die Kinder ist die Stadt weit weg, und das neue Umfeld beängstigend und feindlich, so dass sie sich heranwachsend ihr eigenes Exil im Exil schaffen.

Die Inszenierung ist literarisch. Dabei kommt die Wesensart der Autorin Ágota Kristóf stark zum tragen. Sachlichkeit in strengster Form. Die Zwillinge, die das große Heft mit ihren Erfahrungen voll geschrieben haben, sprechen wie aus einem Mund. Sie sind sich nicht einig wie Brüder es sind, wenn sie verschwörerisch etwas verbotenes tun, sondern weil sie ausgestoßen sind, in der feindlichen Fremde, und sich zu einer Persönlichkeit zusammenschweißen. Es ist Angst die sie vereint. Es sind Kinder die ihre elterliche Bindung verloren haben. Und mit der verlorenen Fürsorge müssen sie nun Abseits der Zivilisation erwachsen werden. Der Krieg ist zu hören aus der fernen Stadt. Doch die Verrohung, die Krieg mit sich bringt, breitet sich auch bei der primitiven Landbevölkerung aus. Sie lernen auf die vor Hass triefenden Beleidigungen zu reagieren. Und weil sie keine kulturell gebildeten Vorbilder finden, spiegeln sie die dumm dreisten Umgangsformen Ihrer Mitmenschen. Die Abwesenheit von Liebe, Geborgenheit und von Männern beschert ihnen einen frühen und verwirrenden Weg in die eigene Sexualität. Jemand hat einmal gesagt: Krieg bringt die grausamsten Seiten im Menschen hervor. Oohja!

In dem Psychogramm der Tötungslust von Klaus Theweleit - „Das Lachen der Täter“ wird anhand zahlreicher Beispiele gezeigt welch seelische Struktur Menschen - hauptsächlich Männer - haben müssen um zu töten, um zu vergewaltigen. Kriege, Terror, Hinrichtungen, Morde, physische Gewalt an Schulen und erniedrigende Denunziationen werden überall auf der Welt in zunehmender Weise von staatlichen oder staatsfeindlichen Individuen ausgeführt. Es gibt keine einzige Nachrichten Sendung ohne Berichte über brutalste Gewalt. Ist das die Zukunft die wir haben wollen? Theresa Welges Inszenierung legt ihren Finger genau in diese Wunde der Zivilisation. In einer stoischen Erzählweise führt sie die Zuschauer durch die Geschichte dieser Zwillinge. Zuschauer sind wir - teilnahmslose Zuschauer die der gelungenen Inszenierung applaudieren und hinterher diskutierend einen Rotwein trinken. Komatös gehen wir wieder unserem Alltagsgeschäften nach. Anstatt für den Frieden zu handeln reden wir über Sicherheit.

Die Autorin Ágota Kristóf wechselt oft die Erzählperspektive, was eine gewisse Verwirrung mit sich bringt, und die ausgesprochenen Positionen damit auf mehrere mögliche Personen ausdehnt; damit sinkt die Möglichkeit sich vom Gesagtem zu distanzieren. Sie ist auch nicht darum bemüht eine Aufklärung zu liefern. Wozu auch? Wir haben vielleicht gelernt mit Messer und Gabel zu essen und nicht in Hauseingänge zu urinieren, aber eine Kommunikationsform, die den Krieg, das massenhafte sinnlose Hinschlachten von Menschen, abschafft, haben wir noch nicht kultiviert. 


Ohne eine gewissen Kenntnis über die Autorin und eine Einführung in das Stück wird man Mühe haben dem etwas symbolschwerem Spiel zu folgen. Es ist aber auch kein Stück für Bildungsbürger mit Hausrats- und Arbeitslosenversicherung. Es ist jedoch sicherlich ein Stück für Schulklassen, denn es birgt ein großes Potential für politische Bildung. Weitere Vorstellungen sind am 4. + 27. Mai jeweils um 20:00

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